Chile driftet langsam nach rechts ab

■ Nach der Ermordung des rechten Chefideologen Guzman ist Chiles Linke in die Defensive geraten

Montevideo (taz) — Wochen nach dem Attentat auf den Chefideologen der chilenischen Rechten und Gründer „Unabhängigen Demokratischen Union“ (UDI), Jaime Guzman, herrscht in Santiago immer noch Unklarheit über die Hintergründe. Während sich der Autonome Flügel der „Frente Patriotico Manuel Rodriguez“ (FPMR) in Schweigen hüllt, faßt die Presse auch ultrarechte Kreise ins Auge.

Klarheit besteht über die Frage, daß die Täter — aus welcher Ecke auch immer — ihre Ziele erreicht haben. Die linke FPMR betreibt seit zwei Jahren „Volks-Justiz“; da überführte Folterer bisher nicht vor Gericht gestellt wurden und wahrscheinlich auch in Zukunft mit Straffreiheit rechnen können, bleibe nur die Gerechtigkeit auf eigene Faust übrig. Die Frente widersetzt sich allen Bemühungen der Kirche um „Versöhnung“ und „sozialen Frieden“.

Falls ultrarechte oder vom Geheimdienst infiltrierte Gruppen am Werk waren, dürften sie mit dem Ergebnis ihrer Aktion zufrieden sein: Im März hatte die Rettig-Kommission ihren umfangreichen Bericht über den Terrorismus des Staates abgeliefert, dem in 16 Jahren Diktatur 2.279 Menschen zum Opfer gefallen waren. Seit dem Attentat geht nun wieder das Gespenst des „linken Terrorismus“ umher. Bis vor kurzem mußte sich die christdemokratische Regierung gegen den Vorwurf des Wahlbetrugs verteidigen, weil entgegen ihrer Versprechungen immer noch fast 300 Regimegegner inhaftiert sind. Heute muß sich Präsident Patricio Aylwin gegen den Vorwurf der Rechten zur Wehr setzen, zu „schwach“ und auf dem linken Auge „blind“ zu sein. Ein bereits vor einem Jahr beschlossener neuer Geheimdienst unter dem Dach der Polizei soll nun mit Volldampf und europäischer Mitwirkung aufgebaut werden. Er soll auch, entgegen allen anfänglichen Überlegungen, „eng mit den Streitkräften zusammenarbeiten“, wie Innenminister Enrique Krauss versichern konnte, ohne daß sich in der Öffentlichkeit ein Schrei der Empörung erhoben hätte. Erst kurz vor dem Regierungsantritt Aylwins war der berüchtigte Geheimdienst CNI formal aufgelöst, seine Agenten samt ihrem Archiv in die Armee integriert worden. Nun sind sie also wegen ihres Know-hows wieder gefragte Spezialisten.

Nach der Veröffentlichung des Rettig-Berichts waren die Richter Zielscheibe der Kritik gewesen. 16 Jahre lang hatten sie Pinochet treu gedient und alle Menschenrechtsverletzungen juristisch abgesegnet. „Uns sind Irrtümer unterlaufen“, rangen sie sich im März eine Art Selbstkritik ab und harrten der angekündigten Justizreform. Doch die ist nunmehr auf die lange Bank geschoben. Denn mußte man nicht hart gegen den Terror vorgehen?

Die Freilassung der politischen Gefangenen war von der Regierung immer wieder herausgeschoben und für spätestens April 1991 fest zugesagt worden. Ende März war — gegen den erbitterten Widerstand von Senator Guzman und seiner UDI — die Verfassung geändert worden, damit in Zukunft der Präsident auch die wegen Terrorismusdelikte Verurteilten begnadigen kann. Doch wird er diesmal sein Versprechen erfüllen? Wann? Und wen wird er begnadigen? Konkrete Organisationen hatte Aylwin nicht genannt, als er jetzt bekannt gab, daß nur diejenigen Gefangenen mit einem Gnadenerlaß rechnen dürfen, die sich von der Gewalt distanziert haben.

Die Linke wurde vom Umschwung der öffentlichen Meinung überrollt und wetteifert in Distanzierungen. Patricio Rivas vom MIR (Renovacion) rief die beiden Organisationen FPMR-A und die ideologisch wenig festgelegte Bewegung Lautaro (FRPL) auf, den bewaffneten Kampf endlich einzustellen. Die Ermordung Guzmans habe nur der Rechten genutzt, sagte auch die KP und erinnerte daran, daß sich der UDI-Chef zu Beginn der Diktatur für verhaftete Kommunisten und Sozialisten verwandt hatte. Er sei erbitterter Gegener des langjährigen Geheimdienstchefs Contreras gewesen und soll sogar mehrfach von ihm mit dem Tod bedroht worden sein, bis schließlich Pinochet eingegriffen und den Streit beendet habe. Gaby Weber