Präsident Menem, die Trucha und ein Mord

In Argentinien ist die Beliebtheit des Lebemann-Präsidenten Menem auf einen Tiefpunkt gesunken/ Der Mord an einer jungen Frau, bei dem Provinzfürsten die Spuren verwischen, bleibt unaufgeklärt/ Die überall um sich greifende Korruption beginnt den Präsidenten zu umfangen  ■ Aus Buenos Aires Gaby Weber

Auf seinen Look hatte der argentinische Präsident schon immer größten Wert gelegt und den exklusiven Image-Berater Julio Feo („feo“ auf deutsch: häßlich) unter Vertrag genommen. Die ersten Wochen seiner Amtszeit widmete er, wie sein brasilianischer Kollege, seinem sportlichen Outfit, er spielte mit Maradona Fußball und mit Gaby Sabatini Tennis. Dann motorisierte er sich; mit einem Schal um den Hals geschlungen, lenkte er Flugzeuge, Rennwagen und Moto-Cross-Räder. Danach stieg er auf seinen Superflitzer Ferrari um, den ihm italienische Geschäftsfreunde „geschenkt“ hatten; das wahre Fahrgefühl komme bei 160 Stundenkilometern auf, so Carlos Menem im Camel-Stil (die Höchstgeschwindigkeit in Argentinien liegt bei 100kmh). Im Minislip ließ sich der Macho — behaarte Brust und prangendes Gekröse — auf seinem Seidenbett ablichten. Und seinen Lieblingsfriseur belohnte er mit einem Posten als Angestellter des Senats. Als solcher wird er sich pensionieren lassen, nur die Koteletten muß er seinem Präsidenten bis dahin noch täglich stutzen.

Vor kurzem hat sich Menem zum Meditieren in ein Kloster zurückgezogen, Brotteig hat er dort mit eigenen Händen geknetet, und sogar gebetet soll er haben. Und anschließlich verbarrikadierte er sich in einer Estancia in Neuquen, — ganz neu — diesmal ohne Fotografen. Als er eine Woche später nach Buenos Aires zurückkehrte, erschrak sich die ganze Nation: mit seinem geschwollenen Gesicht glich er Marlon Brando. Hatte er sich liften oder mit Falten- glättenden Substanzen traktieren lassen? Nein, entgegnete der Aufgedunsene sichtlich genervt, er sei von einer Wespe gestochen worden. „Die größte Wespe der Welt“, höhnte die links-intellektuelle 'Pagina 12‘ auf ihrem Titel, und die Witzseiten anderer Blätter setzten nach.

Von 80 Prozent (Mai '89) ist Menems Popularität auf 20 bis 7 Prozent gesunken, innerhalb von 20 Monaten verschliß er 21 Minister, alle 27 Tage ein neues Gesicht am Kabinettstisch. Wer den Stimmungsumschwung mit nichterfüllten Wahlversprechen und der Krise erklären wollte, greift kurz und versteht wenig. Ursache sind weniger die Begnadigungen der früheren Kommandanten (womit jeder gerechnet hatte) noch — auf dem Höhepunkt einer Welle von Kriminalität — die von zwanzig „normalen Berufskillern und Vergewaltigern“. Ein süßer Geruch der Fäulnis hat sich über das Land gelegt.

Sodom und Gomorra hat sich in der nördlichen Provinz Catamarca aus der Asche erhoben, wo der Peronist Ramon Saadi wie ein feudaler Diodezfürst das Zepter schwingt. Mal vergnügt er er sich in seinem Pool voller Champagner, doch meist ist er damit beschäftigt, Vettern und Nichten auf die Posten der Provinzregierung zu befördern. Im Reiche Saadis wurde vor einem halben Jahr die Oberschülerin Maria Soledad Morales tot aufgefunden, mehrfach vergewaltigt, verstümmelt, mit Folterspuren. Die Autopsie wies Blut im Magen nach — ein Hinweis auf langsame Ermordung (und nicht, wie hinterher entschuldigt werden sollte, Unfall und anschließende Unkenntlichmachung der Leiche), denn Tote schlucken bekanntlich kein Blut. Normalerweise wäre die Sache unter „ferner liefen“ eingemottet worden, wenn da nicht diese beiden Frauen wären: eine Nonne und die Anwältin der Familie Morales. Gegen die behördliche Untätigkeit organisierten sie — bis heute — wöchentliche Schweigemärsche, an der bis zu 20.000 Menschen teilnahmen. Zeugen tauchten auf, die von einer Fiesta berichteten, mit Drogen, Sex, Gewalt, und alles wäre auf Video festgehalten. Guillermo, Sohn des Abgeordneten und Saadi-Günstlings Angel Luque, soll mitgefeiert und mitgemordet haben. Die vierte Autopsie, endlich, wies Kokain nach. „Ich brauch jetzt einen Mörder, einen weiteren Protestmarsch stehe ich nicht durch“, so soll Saadi den Ermittlungsrichter unter Druck gesetzt haben. Der trat zurück, sein Nachfolger ebenso. Der dritte setzte die halbe Polizeiführung fest, sie fahren fast alle — und ohne das geringste Unrechtsbewußtsein — geklaute Autos („autos truchos“); auf einem Nummernschild stand kurz und bündig: No joda — privado — leck mich am Arsch!

Die Ermittlungen wurden verschleppt (der Sohn des Polizeichefs war wohl auch bei der Fiesta dabei), Beweise verschwanden (zum Beispiel der Magen des Opfers), Zeugen wurden eingeschüchtert, andere strickten Alibis. Täglich berichteten auch seriöse Blätter vom Fall Morales, und schließlich nahm Menem den Fall in die Hand: Er schickte eine Art Superman nach Catamarca — Kommissar Luis Patti, der wenige Wochen zuvor selbst im Gefängnis saß, weil er zwei Diebe mit Elektroschocks gefoltert hatte. Nicht nur seine Kollegen, sondern ganz Buenos Aires war für den „entschlossenen“ Polizisten auf die Straße gegangen, sogar Gouverneur Antonio Cafiero hatte sich öffentlich für ihn verwandt. Zwei Drittel der Bevölkerung sprachen sich Meinungsforschern gegenüber dafür aus, daß die Polizei Diebe und Räuber foltern dürfe.

Doch Patti mochte gegen die Saadis und Luques nicht den Helden markieren; für ihn, so sprach er in jedes Mikro, sei der Mörder der frühere Freund Maria Soledads, ein gewisser Tula. Doch der Richter ließ stattdessen Luque Junior verhaften, und prompt stieg der Senior auf die Barrikaden: „Wenn mein Sohn gemordet hätte, wäre die Leiche nie aufgetaucht“, sprach der 200-Kilo- Mann zur konservativen Zeitung 'Clarin‘ und fügte etwas hinzu, woran niemand gezweifelt hatte: „Aufgrund meiner Macht und meines Apparats bin ich dazu in der Lage“. Der Richter, so der Abgeordenete, sei „mit 250.000 Dollar für den Haftbefehl gekauft worden, und auch Kommissar Patti hat einen schweren Fehler begangen, indem er den Richter um Erlaubnis bat, Tula 48 Stunden mit Elektroschocks behandeln zu dürfen.“ Die Genehmigung wurde verweigert, und nun hat der peronistische Abgeordnete gegen den Richter ein Verfahren angestrengt.

Wie die Saadis mit den Luques so hat auch Menem mit seinem Familienclan nichts als Ärger. Jahrelang hatte er die Verwandten seiner Ehefrau Zulema Yoma (mit der er inzwischen in Scheidung lebt) auf strategische Posten der Zentral- und der Provinzregierungen gesteckt. Zuerst geriet Emir Yoma ins Gerede, freilich nur wegen eines Kavaliersdelikts. Er war — unter anderem vom US-Botschafter — beschuldigt worden, vom US-Multi Swift ein Millionen- Schmiergeld gefordert zu haben. Nach dem „Swiftgate“, und um den großen Bruder zu besänftigen, beschloß die argentinische Regierung, sämtliche noch folgende Privatisierungen unter der Aufsicht des Internationalen Währungsfonds und der Weltbank durchzuführen, die in Zukunft — ganz offiziell — das letzte Wort haben werden.

Es bleibt — auch wenn das Backschisch bei den Verkäufen von Staatsbetrieben künftig ausbleibt — noch genug vom Kuchen übrig. Gerade ist in Spanien eine halbe Tonne Kokain aufgeflogen. Die Verhafteten sagten beim Ermittlungsrichter bereitwillig über die Hintermänner aus: Menems Vertrauter Mario Caserta sitzt seitdem im Gefängnis. Auf freiem Fuß befinden sich noch Amira Yoma, Protokollchefin des Präsidenten, und Karim Yoma (dank seines Jobs im Außenministerium hat er Diplomatenstatus). In Sachen Kokainschmuggel wurde inzwischen auch Ibrahim al Ibrahim vor den Kadi zitiert, ein hoher politischer Beamter beim Zoll im internationalen Airport Ezeiza. Er soll dafür zuständig gewesen sein, daß Ware wie Dollars ungehindert die Kontrolle passierten. Wie der Syrer, der nur ein paar Brocken spanisch spricht und bei seiner Vorladung mit einem Dolmetscher anrauschte, seinen Posten ergattert hatte, steht nun außer Frage: „Ich habe ihn ernannt, ich habe mich geirrt,“ so Menem jetzt auf einer Pressekonferenz, „na und?“

Die Korruption hat nicht bei den Köpfen haltgemacht, bei den unteren Rängen und im einfachen Volk heißt das: „trucha“ (Forelle). Es waren „omnibus truchas“, die während des Eisenbahnerstreiks ohne Zulassung, ohne geschulte Fahrer und mit vom Rost zerfressenen Fahrzeugen Passagiere befördert haben. Sie mußten — etwa alle hundert Kilometer — eine „trucha“-Gebühr (20 Mark) an die Verkehrspolizisten entrichten. Auch die Kaserne Monte Chingolo verdient das Attribut „trucha“. Dort versteckten Offiziere und Soldaten die Beute aus ihren Überfällen auf Lastwagen: Öl, Käse, Nudeln. Ganze Unternehmen sind trucha, zum Beispiel Telefongesellschaften, deren Angestellte, vom Manager bis zum Stift, bei Vater Staat in Lohn und Brot stehen, aber auf eigene Rechnung Anschlüsse legen, neue Linien „besorgen“ (d.h. Kabel abklemmen) und Apparate reparieren. Trucha sind wohl auch die beliebten Entertainer Mirta Legrand und Bernardo Neustadt, zu deren Talkshows man nicht gratis gebeten wird, für die Einladung sollen — so heißt es — etwa 5.000 Mark auf den Tisch des Hauses gelegt werden. Und trucha — das ist der jüngste Skandal — sind all die Autos (vom Jaguar bis zum Mercedes), die Behinderte steuer- und zollfrei kaufen durften, aber mit denen Politiker und Geschäftsleute herumfahren.

Wer keine Truchas im Teich hat, der hat natürlich das Nachsehen, Rentner, alleinerziehende Mütter, Kinder. In Cordoba hat ein 70jähriger bei Gericht einen Antrag auf Euthanasie eingereicht; seine Pension reiche nicht zum Leben aus. „Zuerst wollte ich mich selbst umbringen“, so der Rentner, der den ersten und zweiten Weltkrieg in Polen überlebt hatte, „aber dann bin ich zu der Überzeugung gelangt, daß der Staat diese Entscheidung treffen müsse“. Noch wartet er auf den Richterspruch.