■ Martha Laugs: Manhatten parallaktisch

Auch Martha Laugs hat den für Künstler obligatorischen New-York-Initiationsaufenthalt hinter sich gebracht. Ergebnis der künstlerischen Verarbeitung ihrer Erfahrungen ist eine Ausstellung mit dem Titel »Parallaxe«. Zu sehen gibt es weder die bekannten skurril-romantisierenden Elendsdarstellungen, noch deren Kehrseite, die unkritische Bewunderung einer Glamour- und Glitterfassade.

»Parallaxe« heißt »Verschiebung«, kommt aus der Fachsprache der Physik und Astrononomie und bezeichnet dort die durch Winkelbeobachtung und -verschiebung gewonnene Bestimmung räumlicher Entfernungen, z.B. zwischen zwei Sternen. Darüber hinaus gibt es »Parallaxe« auch in der Fotografie, wo sie den Unterschied zwischen dem Bildausschnitt im Sucher und dem auf dem Film meint. Wenn der gleiche Gegenstand von zwei verschiedenen Punkten aus betrachtet wird, z.B. beim stereoskopen Sehen, entsteht gleichfalls eine Verschiebung. Womit wir wieder bei der 1935 geborenen Martha Laugs angekommen sind, die vor ihrem Kunststudium in Düsseldorf eine Ausbildung als Fotografin absolvierte.

Wiederkehrendes Element in ihren Objekten ist die Fotografie. Laug verwendet in der ausgestellten »Manhatten-Serie« dokumentarische Aufnahmen der Ikonen Amerikas: der Freiheitsstatue, des Rockefeller Centers, des Empire State Buildings oder der Skyline Manhattens von Staten Island aus gesehen, die zum Teil stereoskopisch aufgenommen wurden. Die formal nach dem gleichen Prinzip aufgebauten Skulpturen bestehen aus einem Sockel aus hohen, dünnen Eisenbeinen, auf dem in Augenhöhe ein Aufsatz aus Gitter- oder Hohlbausteinen befestigt ist, der zusätzlich mit gefundenen oder gekauften Materialien — vom rostigen Gullideckel bis zum Plastik-E.T. — bestückt ist. Auf der einen Seite der Steine kleben die Fotos, kolorierte Negative, Dias oder gar ein kleiner Monitor, der in einer Endlosschleife u.a. einen Filmausschnitt zeigt. Die Betrachter schauen durch die Hohlbausteine wie durch einen Sucher oder ein Fernrohr auf die bewegten und unbewegten Bilder.

Die hohen, durch den fragilen Unterbau merkwürdig instabil wirkenden Objekte rufen die Assoziation von Wolkenkratzern hervor. Ihre Interpretation kann bis in ungeahnte Höhen geführt werden: die Symbole Manhattens als Metapher des schwankenden Untergrunds der modernen Gesellschaft und Zivilisation. Verbunden sind Ober- und Unterteil, Sockel und Aufsatz, oftmals mit einem Schwerelot, das die Erdanziehung noch einmal versinnbildlicht. Die Titel der einzelnen Arbeiten wie »Rockefeller, Mercedes, Liberty« machen deutlich, daß es Martha Laugs nicht nur um eine formale Auseinandersetzung geht. Der aufgeklebte Mercedesstern in diesem Ensemble wirkt dann doch etwas zu vordergründig sozialkritisch.

Großes Vorbild ist Andy Warhol, dem mehrere Werke gewidmet sind, die Versatzstücke seiner Arbeiten zitieren und in neue Zusammenhänge stellen. Mit Warhol stimmt Martha Laugs in der Absage an jede Bedeutung hinter einem Kunstwerk überein. Allerdings häuft sie triviale Gegenstände nicht wie er seriell an, sondern setzt sie bewußt mit kritischer Intention zusammen. Interessant werden ihre Arbeiten, wenn sie sich mit naturwissenschaftlichen und physikalischen Gesetzmäßkeiten beschäftigt und Wahrnehmungsphänomene der modernen Kunst hinterfragt. Es gibt z.B. ein konstruktivistisches Glas-Spiegel-Objekt mit einem roten und einem schwarzen Quadrat, dessen Titel »This is not a Malevich« ironisch mit den Erwartungen der Kunstkennern spielt. Eine skeptische Haltung gegenüber vereinfachenden Welterklärungen zeigt auch ihre Installation »Selffulfilling Prophecy«: die elektronische Leuchtschrift mit diesem Text wird von einer Videokamera aufgenommen, die diesen Text sogleich auf einem Monitor abspielt und so den Inhalt des Satzes einlöst. Dieses Spiel mit Gegensätzen bewirkt eine Irritation festgefügter Sehweisen und Erwartunen. Bis 8.6. im NBK, Kurfürstendamm 58, Mo-Fr 12-18.30, Di und Do 12-20, Sa 11-16 Uhr. Bettina Schültke