Argentinien verkauft Kasernen und Rüstungsfirmen

Massive Abrüstung auf Druck der Weltbank: Neue Kredite gibt's nur bei Kürzungen im Wehretat/ Soldaten haben keine Lobby mehr in der Regierung  ■ Aus Buenos Aires Gaby Weber

Seit Monaten brodelt es in den argentinischen Streitkräften, und diesmal protestieren nicht die Carapintadas, der faschistische Truppenteil, sondern die US-freundlichen Militärs. Neun Jahre nachdem Buenos Aires einen Krieg gegen das Nato-Mitglied Großbritannien angezettelt und verloren hatte, wird die Rechnung präsentiert: via Weltbank, welche die Gewährung von Krediten inzwischen von Kürzungen im Wehretat des Empfängerlandes abhängig macht.

Fakt ist, daß auf Weltbank-Initiative jetzt bei den argentinischen Streitkräften der Rotstift angesetzt wird. Der Verteidigungshaushalt wurde massiv zusammengestrichen, Kasernen und die Rüstungsindustrie stehen zum Verkauf. Letzte Woche verfügte der Verteidigungsminister, daß — zunächst — ein Fünftel der Militärattachés ihren Hut nehmen muß. Hatten die Verteidigungsausgaben unter der Dikatatur noch 4,3 Prozent des Bruttosozialproduktes betragen, fielen sie mit der Demokratie zunächst auf 2,4 Prozent (1985) und liegen heute bei 1,7 Prozent, Tendenz weiter fallend.

Die Abrüstung ist ein Erfolg für die USA: Seit zehn Jahren hatte Washington die Pläne der argentinischen Militärs kritisiert, eine eigene Technologie im Nuklearbereich und bei den Trägersystemen zu entwickeln. Jetzt stampft die peronistische Regierung diese Projekte ein, und Präsident Carlos Menem kündigte an, den Atomwaffen-Sperrvertrag zu unterzeichnen.

An der Entwicklung der Condor- Raketen mit mittlerer Reichweite war neben libyschen Finanziers auch die deutsche Industrie beteiligt: MBB hatte, ebenso wie Fiat, Know- how geliefert. Ein Grund mehr für Washington nach den Kriegserfahrungen im Irak, sich dieser Technologie in den Weg zu stellen. Im Juli 1989, kurz nach dem Regierungsantritt der Peronisten, war zum ersten Mal offiziell die Sprache auf Condor gekommen. „Es behindert“, so der US-Staatssekretär für Militärfragen, Decain, „die Abrüstungsgespräche der Supermächte“, da mit ihm regionale Konflikte außer Kontrolle geraten können.

Alle argentinischen Regierungen, die Junta wie auch Alfonsin, hatten die Einstellung des Projekts stets mit dem Hinweis abgelehnt, daß es sich bei Condor II um ein friedliches Unternehmen handle, um Wetter- und Kommunikationssatelliten in den Weltraum zu befördern. Daß es jetzt kommentarlos eingestampft wurde, erntete hellen Unmut bei den Militärs. Nur eine „Bananenrepublik“ würde sich vom Ausland Bewaffnung und Militärtechnologie vorschreiben lassen, schimpfte Ernesto Crespo und meinte, daß sein Land „von den USA unterjocht“ sei.

Vor allem die unteren militärischen Ränge leiden unter den Kürzungen im Verteidigungshaushalt. Viele können heute nicht mehr von ihrem Sold leben. Buenos Aires ist ein teures Pflaster. Um eine vierköpfige Familie über die Runden zu bringen, braucht man mindestens 1.000 Mark, aber die Soldaten verdienen nur ein Bruchteil davon. Desertationen sind an der Tagesordnung, und viele arbeiten nebenbei als Nachtwächter oder Hausmeister. Inzwischen werden auch die Elendsviertel von Soldaten und Polizisten bewohnt, da die Mieten anderswo unerschwinglich geworden sind.

„Wenn sich jemand opfern muß, dann sind zuerst die Streitkräfte dran“, hatte Menem die Forderung nach höheren Sölden abgelehnt. Jetzt stehen 700.000 Hektar Gelände samt Kasernen und Truppenübungsplätzen zum Verkauf an. Allein Campo de Mayo wird auf 44 Millionen Dollar geschätzt. Unter den Hammer ist auch die Panzerherstellung und die Flugzeugfabrik in Cordoba geraten, ebenso wie die Munitionswerkstätten, Militärhäfen und Werften. Auch das hochmoderne Stahlwerk „Somisa“ mit 13.000 Angestellten wird ausländischen Interessenten angeboten; mindestens 100 Millionen Dollar müssen dafür auf den Tisch gelegt werden, Schmiergelder nicht inbegriffen. US-Geschäftsleute haben bereits Interesse bekundet.

Wer bei der neuen Militärpolitik die Fäden zieht, ist kein Geheimnis. Da der Ost/West-Konflikt an Bedeutung verloren hat, muß der Süden entwaffnet werden. Im Gegensatz zu Brasilien tanzt die argentinische Regierung nach nordamerikanischer Pfeife. Nach den letzten Korruptionsskandalen hatte Menem die Weltbank offiziell darum ersucht, bei den noch ausstehenden Privatisierungen die Federführung zu übernehmen. Und die Weltbank hatte eingewilligt: Buenos Aires bedient wieder den Schuldendienst, und irgendwoher muß das Geld ja kommen.

In Argentinien steht nun die allgemeine Wehrpflicht zur Disposition. Stellvertreterkriege, wie in den siebziger Jahren, erlaubt Bushs „neue Weltordnung“ nicht mehr. Nicht zuletzt der geglückte Golf-Feldzug bestärkt Washington in der Annahme, daß es lieber selbst einschreitet. Und selbst die innere Sicherheit dient heute nicht mehr als Legitimation für eine Berufsarmee mit schwerer Bewaffnung. Kleine, schlagkräftige Eingreiftruppen mit leichtem Kriegsgerät reichen für einen angenommenen Konflikt mit einem inneren Feind allemal aus. Auch die allgemeine Sicherheit wurde zunehmend privatisiert. Zwar sollen laut Präsidenten-Dekret Militärs bei massenhaften Plünderungen eingesetzt werden, doch die tägliche Bewachung der reichen Stadtviertel besorgen private Schutzleute.

Lange Zeit dachten die Militärs, daß sie mit dem Drogenhandel ein neues Feindbild hätten, um ihre Existenz zu rechtfertigen. Dies war zumindest vor vier Jahren bei der Konferenz der Amerikanischen Heere in Mar del Plata beschlossen worden. Doch auch hier ging die Rechnung nicht auf. Nach einer massiven diplomatischen Offensive der US-Drogenbehörde Drug Enforcement Administration (DEA) darf Washington nun, was die argentinischen Generäle in Mar del Plata noch ausdrücklich verboten hatten: das gesamte Territorium aus Flugzeugen heraus fotografieren, um geheime Landepisten der Kokainhändler ausfindig machen zu können. Und vor wenigen Tagen wurde unter Anleitung der DEA ein neues Amt zur Rauschgiftbekämpfung gegründet. Damit wird künftig eine zivile Behörde für den Drogenkrieg zuständig sein.

Die Militärs haben auf den neuen Wind weder Antworten noch Verbündete. Die Carapintadas, deren Anführer zur Zeit vor Gericht stehen, spielen politisch keine Rolle mehr. Mit ihnen, die sie stets als „Vaterlandsverräter“ beschimpften, wollen sich die Generäle nicht in ein Boot setzen. Noch weniger haben sie fortschrittliche zivile Kreise an ihrer Seite, denn während ihrer Diktatur hatten sie ungestraft 30.000 Regimegegner ermordet.

Gegen die Privatisierungen der Staatsbetriebe hatten die Generäle zwar grundsätzlich nichts einzuwenden gehabt, viel allerdings gegen den Verkauf ihrer eigenen Rüstungsindustrie. Doch das ist längst ausgemachte Sache. Nun versuchen sie, vom Erlös wenigstens einen Teil zu ergattern, um die Armee zu „professionalisieren“. Doch im Kabinett haben sie keine Lobby. Der neue Verteidigungsminister Antonio Erman Gonzalez war bis vor kurzem Wirtschaftsminister und hatte in dieser Eigenschaft stets argumentiert, daß der Verkaufserlös in die allgemeine Staatskasse fließen müsse. Inzwischen hält er, wie er sagt, die Forderungen der Militärs zumindest für „legitim“, allerdings gehen „die Bedürfnisse des Landes vor“. Menem hat versprochen, seine Krieger nicht leer ausgehen zu lassen. Doch versprochen hat er schon viel.