Bisher auf die unfeine Art

■ Sotheby's taxiert den Kunstmarkt der ehemaligen DDR

Die Provenienz ist im Auktionsgeschäft etwas Heiliges, Diskretion das oberste Gebot. Woher ein Kunstwerk kommt, welche Vorbesitzer es hatte, das wird meist ebenso geheimnisvoll nur angedeutet wie die Antwort auf die Frage, an wen das Gemälde, die Zeichnung oder Skulptur nach erfolgreichem Zuschlag geht. Daß am Abend des 30.Mai in den neuen Berliner Räumen des Londoner Auktionshauses Sotheby's zum ersten Mal nach langen Jahren auch Kunstwerke von BesitzerInnen aus der ehemaligen DDR unter den Hammer kommen, ist bekannt. Über ihre genaue Anzahl allerdings schweigt sich das Kunsthaus, wie nicht anders zu erwarten, aus. Einzig ein Mädchenporträt des deutsch-österreichischen Kunstgewerblers Emil Orlik und eine Bronzeplastik von Fritz Klimsch sind im 120seitigen Auktionskatalog mit der Vorbesitzerangabe „Privatbesitz Leipzig“ ausgewiesen. Daß weitere Werke aus den neuen Bundesländern, die den Häschern des Devisenbeschaffers und Kunstversilberers Alexander Schalck-Golodkowski entgangen waren, jetzt in Berlin in klingende Münze verwandelt werden, ist mehr als nur wahrscheinlich. Die neue Armut in der alten DDR zwingt zum Verkauf.

Schon vor dem Fall der Mauer stand für Sotheby's fest, daß Werke der klassischen Moderne und vor allem des hier entstandenen Expressionismus um „Brücke“, „Blauer Reiter“ und „Sturm“ künftig wieder in der ehemaligen deutschen Kulturhauptstadt angeboten werden sollten. Und anders als beim großen Marktkonkurrenten Christie's, der in Berlin „nur“ ein Büro unterhält, sollten hier auch Auktionen stattfinden. „Wir waren immer schon auf der Suche nach einer geeigneten Immobilie“, erinnert sich Sotheby's- Pressesprecherin Barbara Gomm. „Die neuen Verhältnisse haben da natürlich einiges vereinfacht.“

Der Ausverkauf der ehemaligen DDR machte möglich, was vor der politischen Wende noch undenkbar gewesen wäre: Gemeinsam mit der amerikanischen Broker-Firma Solomon Brothers und der Londoner Barclay's Bank teilt sich Sotheby's seit kurzem das Palais am Festungsgraben am Ostberliner Prachtboulevard Unter den Linden. Bis zur Wende war hier das „Haus der deutsch-sowjetischen Freundschaft“ untergebracht; im großen Marmorsaal fanden bis dato jene Versammlungen, Freundschaftstreffen und Appelle statt, die vor allem der senilen SED- Führungsriege immer wieder geradezu kindliches Vergnügen bereiteten. Am 30.Mai wird in diesem Raum zum ersten Mal versteigert.

Bestimmte Meisterwerke werden von dann an nicht mehr gemeinsam mit Cézannes, Gaugins und van Goghs bei den „Impressionist and Modern Art“-Sales von Sotheby's in New York oder London angeboten. Sie kommen künftig nur noch in Berlin unter den Hammer, soweit sie von deutschen KünstlerInnen stammen. Entsprechend hochkarätig ist das Angebot für die Premiere in diesem Monat: Für ein 1937 kurz nach der Emigration des Malers in Amsterdam entstandenes Blumenstilleben von Max Beckmann wurde ein Schätzpreis von 1 bis 1,25 Millionen Mark angesetzt. 700.000 bis 900.000 Mark soll ein Querformat mit Mohn und Lupinen aus dem Jahr 1950 von Emil Nolde kosten. Für etwas weniger sind Lyonel Feinigers selten gegenständliche Figuren in Abenddämmerung von 1909 zu haben: 600.000 bis 750.000 Mark. Dix und Baumeister, Ernst und Heckel, Kokoschka, Marc und Schlemmer sind mit bisweilen hochkarätigen Werken vertreten. Die wohl interessanteste Herkunft hat eine naturalistische Landschaft an den Osterseen von Georg Schrimpf. Das Gemälde aus dem Jahr 1936 hing zunächst in der deutschen Botschaft von London, verschwand dann und wurde in den sechziger Jahren von seinem jetzigen Besitzer für umgerechnet 15 Mark auf dem Portobello-Flohmarkt in London gekauft — heutiger Schätzpreis: 60 bis 80.000 DM.

„Wo wir versteigern, ist eigentlich ganz egal“, weiß Barbara Gomm. „Im Zeitalter von Fax und Satellitentelefon kommen ohnehin die wenigsten unserer KundInnen noch selbst zur Auktion.“ Strategische Bedeutung allerdings hat der neue Standort Berlin, an dem sich schon das Auktionshaus Villa Griesebach und Konkurrent Christie's um die dicksten Stücke aus dem immer kleiner werdenden Kunstkuchen bemühen, vor allem für den Markt der fünf neuen Bundesländer. Nach wie vor befinden sich hier bedeutende Meisterwerke vor allem des deutschen Expressionismus in Privatbesitz — in den Werkverzeichnissen als „Kriegsverluste“ bereits abgeschrieben. Erst Ende 1990 kam ein Ölgemälde von Emil Nolde, das bis dato als verschollen gegolten hatte, aus Dresdener Privatbesitz in eine Londoner Auktion.

Seine Fühler gen Osten hatte Sotheby's schon kurz nach dem Fall der Mauer behutsam ausgestreckt. Expertinnen und Experten veranstalteten auch in den Ost-Metropolen die sogenannten „Sweep-Tage“, bei denen Privatsammler ihre vermeintlichen oder tatsächlichen Kunstwerke unverbindlich und kostenlos begutachten konnten. „Es geht uns nicht darum, einen neuen Markt abzugreifen“, betont Barbara Gromm. „Wir wollen in einem Land eine Vertrauensbasis aufbauen, in dem bisher Kunst für den Handel auf die unfeine Art akquiriert wurde. Die Menschen dort sollen die Mechanismen des internationalen Kunstmarkts kennenlernen.

Während die Versteigerungen der deutschen und österreichischen Kunst des 19.Jahrhunderts wie bisher zweimal jährlich in München stattfinden, sind für Berlin ebenfalls je eine Frühjahrs- und eine Herbstauktion geplant. Daß die ehemalige DDR dabei in der unmittelbaren nächsten Zeit nicht nur zu einem Verkäufer-, sondern auch zu einem Käufermarkt wird, ist zur Zeit aber auch für die Pressesprecherin von Sotheby's Deutschland eher unwahrscheinlich: „Dort gibt es andere Probleme als Kunst.“ Stefan Koldehoff