Rettungsanker Ehe?-betr.: "Streitpunkt Homo-Ehe: Freie Liebe oder Standesamt für alle", Debattenbeiträge von Viola Roggenkamp und Jutta Oesterle-Schwerin, taz vom 21.5.91

betr.: „Streitpunkt Homo-Ehe: Freie Liebe oder Standesamt für alle“, Debattenbeiträge von Viola Roggenkamp und Jutta Oesterle- Schwerin, taz vom 21.5.91

1.Lesben-Ehe schafft Entsolidarisierung unter Lesben

Diejenigen Lesben, die das Recht auf Ehe fordern, um es dann — anders als Viola — auch für sich in Anspruch zu nehmen, hoffen auf größere gesellschaftliche Anerkennung als bisher. Welch ein Trugschluß! Ein Lied davon singen können sicherlich solche Menschen mit deutscher Staatsangehörigkeit, die nicht westeuropäisch- weiß aussehen. Mit ihrer Einbürgerung ist die Erfahrung rassistischer Unterdrückung keineswegs passé. Sage mir doch mal eine, warum Lesben-in-Ehe auf einmal anerkannt werden sollten, wenn sie es bislang nicht waren. Anpassung um jeden Preis hat noch keinen Menschen vor Verfolgung gerettet. Was wäre dann, wenn Ehe für Lesben tatsächlich realisiert würde und dies zur gesellschaftlichen Anerkennung dieser Verheirateten führte? Dann hätten wir einen Teil Lesben-in-Ehe (anerkannt) und einen Teil unverheirateter Lesben (nicht anerkannt). Bravo, das ist genau, was wir brauchen.

2.Warum jetzt die Lesben-Ehe?

Welch eine politische Kurzsichtigkeit steht doch hinter der Forderung nach der Lesben-Ehe. Die Heteras und -ros schaffen die Ehe gerade in merklichem Umfang ab. Sie heiraten einfach nicht mehr. Das gilt nicht für alle, schließlich sind die mit der Ehe verbundenen Vorteile ja auch genau zu dem Zweck eingerichtet worden, Menschen zum Standesamt zu bewegen. Und die, die's immer noch tun, lassen sich immer öfter auch wieder scheiden. Und da kommen ausgerechnet die Lesben und sagen, wir wollen auch heiraten (dürfen). Mit Verlaub, was für ein Blödsinn.

Setzen wir uns lieber mit all denen zusammen, die verwitwet oder geschieden sind, die die Institution Ehe boykottieren, die aus Sachzwängen heiraten (Aufenthaltserlaubnis!), kurz: mit jenem gesellschaftlich immer größer werdenden Teil der Bevölkerung, der dasselbe Interesse an Gleichstellung und — Behandlung hat wie wir Lesben.

3.Abschaffung von rosa Listen — Registrierung als Lesben-Paar

Lesben-Ehe ist nichts anderes als die Legalisierung von rosa Listen. Letztere wiederum sind nicht gerade eingeführt worden, um Lesben zu schützen. Sie (die Listen) schaden uns, darum gibt es sie.

Sollen wir also fordern „Erhebt keine Daten mit dem Merkmal ,Lesbe‘, wir geben sie euch freiwillig!“? Wieviel Vertrauen in Arbeitgeber, Vermieter, (Scheidungs-)anwälte, (Sozial-)gerichte und Überwachungsstaat muß eine Lesbe also haben, um freiwillig unkontrollierbar weiterzugebende Daten herauszurücken?

Dies sind nur drei Gründe, die neben den in Euren Stellungnahmen genannten gegen die Ehe für Lesben sprechen. Laßt uns lieber was für die Gleichstellung aller möglichen Lebensgemeinschaften tun, statt uns allein schon an der Frage, ob wir die Lesben-Ehe fordern sollen, bereits zu entsolidarisieren. Bleiberecht darf nicht an Ehe gebunden sein. Zeugnisverweigerungsrecht vor Gericht und Auskunftspflicht von Ärzten dürfen nicht nur für Verheiratete gelten und so weiter. Kurz: Abschaffung der mit Ehe verbundenen Vorteile. Dafür können wir eine gesellschaftliche Mehrheit jedenfalls viel eher erreichen als durch die ach, so subversive „Unterwanderungsstrategie“. Susanne Golnick, Hamburg

Na, endlich. So ganz langsam tut sich was, und Jutta Oesterle-Schwerin hat völlig recht, wenn sie behauptet, daß die grüne Landtagsabgeordnete in Baden-Württemberg, Biggi Bender, sich in der Frage der Homo-Ehe für ein entschiedenes „Unbedingt“ einsetzt. Allerdings verspricht sie das weniger der Partei — denn die hat ja nix davon — als daß sie von der Partei erwartet, sich diesem Problem zu stellen und eine Antwort im Sinne Viola Roggenkamps zu formulieren.

[...] Der Alltag bundesdeutscher Lesben und Schwulen sieht zu großen Teilen leider immer noch anders aus als er wünschenswert wäre. Die allerwenigsten leben offen. Die allermeisten wissen gar nicht, daß es einen Lesbenring gibt, der scheinbar für ihre Interessen spricht oder gar einen Bundesverband Homosexualität, der zuweilen für die Schwulen von sich reden macht. Und hier liegt der Hase im Pfeffer: Es ist nicht die Frage des richtigen feministisch-lesbischen Bewußtseins, sondern ganz einfach die nach einem gangbaren Weg: Anerkennt die Gesellschaft lesbische und schwule Lebensformen als der heterosexuellen gleichwertig, dann tut sie das augenfällig, wenn sie die Ehe auch den „PerversInnen“ öffnet. Ob Lesben und Schwule dann auch wirklich heiraten, ist doch völlig wurscht. Heike Schiller, Stuttgart;

Juliane und Wolfgang Schmitt, Stuttgart; Barbara Weis, Horb; Barbara Gerlach, Talheim; Matthias Güldner, Heidelberg; Christian Vogt-Moykopf, Heuberger Hof;

Gerhard Pitz, Heidelberg