Paraguays Linke wittert Morgenluft

Sieg der linken Bürgergruppe bei Kommunalwahlen in der Hauptstadt Asunción/ Jetzt soll es der allgegenwärtigen Korruption an den Kragen gehen/ Zwei Jahre nach Stroessners Sturz sitzen die großen Fische der Diktatur noch immer an der Macht  ■ Von Gaby Weber

Montevideo (taz) — Paraguays Linke ist erwartungsgemäß siegreich aus den ersten freien Kommunalwahlen seit vier Jahrzehnten hervorgegangen. Ihr Kandidat, Carlos Filizzola, errang in Asunción nach amtlichen Angaben 34 Prozent der Stimmen. „Asunción für alle“ heißt das Motto seiner unabhängigen Bürgergruppe, die sich auf Initiative des Gewerkschaftsdachverbandes CUT gegründet hat.

Filizzola hatte unter der Stroessner-Diktatur mehrfach im Gefängnis gesessen, weil er als Klinikarzt im einzigen öffentlichen Krankenhaus Asuncións für bessere Arbeitsbedingungen und höhere Löhne gekämpft hatte.

Bekannte Persönlichkeiten und Techniker, nicht Berufspolitiker, führten die Liste seiner Stadträte an; ein Drittel davon sind Frauen. Das Schlüsselwort heißt nun Transparenz und Beteiligung der Bürger. Das Rathaus soll dezentralisiert und den Nachbarschafts-Juntas Autonomie gewährt werden. Der Schwerpunkt ihres Programms liegt auf dem Kampf gegen die Korruption. Dies soll, erklärt Carlos Filizzola der taz gegenüber, durch neue Bürgerrechte realisiert werden:

— Verfassungsklagen sollen innerhalb einer bestimmten Zeit begründet beschieden werden;

— Volksabstimmungen sollen bindenden Charakter haben;

— Bürgerinitiativen sollen als Rechtspersonen mit Vetorecht anerkannt werden;

— das Amtsgeheimnis soll aufgehoben, jedem Bürger Zugang zu amtlichen Unterlagen eingeräumt werden;

— ein „Verteidiger der Nachbarn“ (Defensor Vecinal) soll, unabhängig von Parteien und Institutionen, die Verwaltung kontrollieren;

— Verbraucherschutz soll dafür sorgen, daß das paraguayische Kilo künftig aus 1.000 und nicht wie bisher aus 900 Gramm besteht.

Die seit 36 Jahren in Paraguay regierende Colorado-Partei steht unter Schock. Zum ersten Mal hat sie eine Niederlage erleiden müssen. Ohnehin durch interne Streitereien um das Stroessner-Erbe zerstritten, hatte sie sich nur mühsam auf einen gemeinsamen Kandidaten einigen können: Juan Manuel Morales vom rechten Parteiflügel.

Hinter den Kulissen der Colorado-Partei spielen sich erbarmungslose Verteilungskämpfe um Anteile im Schmuggel- und Drogengeschäft ab, über die heute — der Demokratie sei Dank — unzensiert berichtet werden kann. Jeden Tag veröffentlicht die Tageszeitung 'ABC‘ mehrere Seiten über geheime Landepisten, Marihuana-Pflanzungen und illegale Transaktionen und nennt namentlich die Hintermänner, die (immer noch) nicht im Gefängnis sind.

Noch eine Errungenschaft der jungen Demokratie: Von insgesamt fünfzig Beschuldigten befinden sich immerhin achtzehn Folterer in Haft — einzigartig für Lateinamerika. Die größten Fische freilich sitzen noch an den Schalthebeln der Macht, die Kommissare Irrazabal und Hellmann etwa, durch deren Hände annähernd die Hälfte der Abgeordneten gegangen war, und Edgar Ynsfran, langjähriger Innenminister unter der Diktatur. Er ist Senator und Mitglied der Regierungsjunta, obwohl mehrere Zeugen vor Richtern ausgesagt haben, daß er persönlich an Folterungen teilgenommen habe.

Einstimmig hatte das Parlament zwei Untersuchungskommissionen beschlossen, eine zum Thema Menschenrechtsverletzungen, die andere zur Korruption. Die Regierung legte ihr Veto mit der Begründung ein, daß Aufklärung Aufgabe der Justiz sei. Statt dessen ernannte sie aus den eigenen Reihen einen Unterstaatssekretär für Menschenrechte.

Wie stark der linke Sieg in Asunción auch auf dem Land Wirkung zeigt, bleibt abzuwarten. Schon immer war auf dem Land der Einfluß der traditionellen Parteien stärker als in der Stadt. Inzwischen verschärfen sich auch die Landkonflikte. Jedesmal, wenn jetzt ein Feld von landlosen Bauern besetzt wird, rückt innerhalb weniger Tage Militär an und räumt das Gelände. Es gibt kaum noch Ländereien, die ohne Eigentümer sind und brachliegen. Nicht nur mancher Oppositionspolitiker, der nebenher einen Gutshof betreibt, wurde Opfer einer Besetzung. Selbst mittlere Gehöfte und Familienbetriebe haben plötzlich ungebetene Gäste.

Das vertieft die Kluft: zwischen Stadt und Land, zwischen dem Parlament und den 300.000 landlosen Bauern, zwischen arm und reich und zwischen ganz arm und ein bißchen weniger arm.