„Eine Guerilla macht Politik“

■ Mitgründer der Tupamaros zum Weg vom bewaffneten Kampf ins Parlament

Eleuterio Fernández Huidobro, Jahrgang 1942, gehörte zu den Gründungsmitgliedern der Tupamaros. Die uruguayische Stadtguerilla wurde in den 60er Jahren durch spektakuläre Aktionen in Europa bekannt und diente auch der deutschen RAF als Vorbild. Huidobro saß von 1973 bis 85 in strenger Isolationshaft.

Seit 1985 arbeiten die Tupamaros als politische Partei und gehören zu einem Linksbündnis, das 1989 große Wahlerfolge erzielte und u.a. den Bürgermeister der Hauptstadt Montevideo stellt.

Am vergangenen Donnerstag war Huidobro auf Einladung der Kampagne „500 Jahre Kolonialismus — 500 Jahre Widerstand“ in Bremen.

Hat dann eure heutige Arbeit als legale politische Partei noch etwas mit der Geschichte des bewaffneten Kampfes zu tun?

Eleuterio Fernández Huidobro: Ja, unser heutiges Prestige hat mit unserer Vergangenheit zu tun. Unsere Anerkennung stammt aus der Zeit des Kampfes und des Knastes während der Diktatur.

Gilt es auch in der internen Organisation der Tupamaros eine solche Kontinuität?

Ja, es hat innerhalb der Tupamaros gar keine große Veränderung gegeben. Schließlich haben wir auch damals keineswegs nur bewaffnet gekämpft. In Europa sind nur die spektakulären bewaffneten Aktionen bekannt geworden, aber wir haben damals auch schon politisch und legal gearbeitet. Die große Veränderung hat nicht bei uns, sondern in unserem Land stattgefunden.

Heißt das umgekehrt auch, daß der bewaffnete Kampf für Euch

Foto: Tristan Vankann

wieder in Frage kommt, wenn sich die Lage in Uruguay verändert?

Ja, wenn es wieder eine Diktatur gibt. Hier in Deutschland wäre das doch genauso. Wenn es hier morgen eine Militärdiktatur geben würde, was würden die Deutschen tun?

Das heißt, die Bewaffnung des politischen Kampfes ist eine taktische Frage?

Die Frage des bewaffneten Kampfes war bei uns nie ein Prinzipienstreit. Das gilt übrigens auch für die Arbeit im Parlament oder in der Gewerkschaft — die Formen des Kampfes müssen einfach mit der historischen Situation zusammenpassen.

Und es gab keinen internen Streit über die Entscheidung, den bewaffneten Kampf zugunsten der Arbeit in einer legalen Partei aufzugeben?

Das mußte fast gar nicht diskutiert werden. Die Diktatur ist ja langsam verschwunden. Gleichzeitig hat sich eine Massenbewegung gebildet, die es den Genos

hier bitte das Foto

von dem Mann mit

Zigarette

sen ermöglichte, zu erkennen, wie wichtig auch die Arbeit in der Legalität sein kann. Wir mußten die Entscheidungen nie von heute auf morgen treffen.

Aber der bewaffnete Kampf unter einer Diktatur erfordert doch eine sehr strenge Untergrundorganisation...

Ja, aber der politische Kampf unter einer Diktatur erfordert die gleichen Organisationsformen. Eine Diktatur tötet, foltert und knastet ein — auch wenn Du nur eine Zeitung schreibst. Es war erheblich schwieriger, sich nach 15 Jahren Knast wieder normal auf der Straße zu bewegen oder nach 15 Jahren Exil zurückzukehren, als die illegale auf eine legale Organisation umzustellen.

Mit welcher Hoffnung arbeitet Ihr heute in Uruguay?

Na ja, die letzten Umfragen sagen, daß wir heute die Wahl gewinnen würden.

Was würde das ändern?

Das ist das Problem. Aber die Leute wählen uns trotzdem, denn sie haben immer weniger Alternativen.

Und die Utopie?

Wir haben keines unserer ehemaligen Ziele verleugnet, aber die Utopie ist heute in Uruguay sehr konkret: daß die Leute dreimal am Tag essen können, daß die Kinder eine Schule und ein Dach über dem Kopf haben, daß die Kranken behandelt werden, die Alten nicht vor Hunger sterben und die Jungen nicht auswandern müssen.

Das klingt verdammt nach Deutschland.

Ja, eine sozialdemokratische Gesellschaft — das wäre in Uruguay schon revolutionär. Wer das durchsetzen wollte, wurde schon gefoltert, umgebracht oder vertrieben.

In den 70er Jahren waren die Tupamaros in Europa berühmt...

Ja, sogar Volkswagen hat Werbung mit uns gemacht: „Auch Tupamaros fahren VW“. Und sie haben uns nie das Honorar dafür bezahlt.

Gibt es heute wieder etwas in Uruguay, das verdient, in Deutschland berühmt zu werden?

Ich glaube kaum, daß es in Europa sehr interessiert, was wir in Uruguay machen. Es ist einfach nicht spektakulär. Und das, was nicht spektakulär ist, existiert nicht in unserer Fernsehwelt.

Das Wichtigste aus Uruguay heute: Eine Guerilla der 70er Jahre hat sich in die Politik gemischt und ist Teil eines linken Bündnisses, das bald die Regierung des Landes übernehmen wird. Womöglich ist der nächste Außenminister aus Uruguay, der nach Deutschland kommt, ein Tupamaro. Interview: Dirk Asendorpf