Hauptstadtfrage

Eine ungeahnte Entwicklung scheint nach bisher noch unbestätigten Gerüchten der festgefahrene Hauptstadtstreit zu nehmen. Weder Bonn noch Berlin, sondern das niedersächsische Gorleben/Elbe könnte das Rennen machen.

Das Wendland als Nahtstelle zwischen Ost und West böte alle Voraussetzungen für einen annehmbaren Kompromiß, sei geradezu prädestiniert. Wir von der Bürgerinitiative Umweltschutz Lüchow-Dannenberg e.V., die wir uns seit fast 15 Jahren gegen die Umwandlung des industriefernen Landkreises in das Atommüllklo der Nation zur Wehr setzen, hatten den Kompromißvorschlag den Bundestagsparteien unterbreitet und sind auf große Resonanz gestoßen.

So könnten nach unseren Vorstellungen die im Bau befindlichen Schächte des nuklearen Endlagers doch noch sinnvoll genutzt werden, zum Beispiel als Sicherheitsbunker für das Parlament im Krisenfall. Schutzeinrichtungen, vor Störern des parlamentarischen Alltags gibt es in Gorleben bereits in Hülle und Fülle: Kalkarmauern, Monitorüberwachung, Wachleute, Polizei und BGS sind geräumig und böten Platz für Fraktionssitzungsräume, die PKA-Baustelle mit heißer Zelle und 60 Meter hohem Schornstein könnte leicht als dezentrales Heizkraftwerk vollendet werden.

Natürlich, daraus macht BI keinerlei Hehl, verspricht sich der Widerstand davon ein beschleunigtes Aus für die Gorlebener Atommüllprojekte. Auch der Wiederaufbau der Dömitzer Eisenbahnbrücke und die Anbindung Gorlebens an den IC- Haltepunkt Dannenberg dürfte wünschenswerter Nebeneffekt sein: die Autobahnpläne der CDU („ein Autobahnkreuz für Lüchow-Dannenberg“) wären ebenfalls vom Tisch.

Nur eine Frage ist aus unserer Sicht noch wirklich offen: Wir können uns intern nicht darauf verständigen, ob der bisher schon im Faßlager Gorleben deponierte Atommüll im Austausch oder schon jetzt in Bonner Bundeshaus gebracht werden soll. Wolfgang Ehmke,

2.Sprecher der BI Umwelt

schutz Lüchow-Dannenberg

Vernünftigerweise sollte der Parlaments- und Regierungssitz in Bonn bleiben... [...] Hier ist Vernunft gleich Rechenaufgabe! Diese zu lösende Rechenaufgabe besteht aus Mengenlehre, Verhältnisrechnen und der Rechnung mit den Unbekannten sowie Wurzelziehen im wirklichen und übertragenen Sinne. Man kann wohl annehmen, daß die von uns gewählten Politiker rechnen können. Jedenfalls geht es doch hauptsächlich darum, den Finanzhaushalt möglichst wenig zu belasten. [...]

Die Aufgaben, die die bisherigen Politiker von Bonn aus gelöst haben, sind für die Bevölkerung der Bundesrepublik „von Bonn aus“ gut gelöst worden. Somit hat Bonn — richtig betrachtet — ein unsichtbares Gütesiegel. Waltraud Langen, Bonn

[...] Handeln unsere Politiker zum Wohle des deutschen Volkes, wenn sie die vor Jahren getroffene Entscheidung, Bonn sei nicht mehr vorläufiger Regierungssitz, rückgängig machen und damit Berlin und Bonn kaputt machen? Wollen die Berliner Bürger den Regierungsumzug wirklich, da Berlin auch ohne Regierungssitz schon heute verkehrs- und wohnraummäßig zu ist? Der Region um Berlin bringt der Regierungsumzug weniger als er dem Bonner Umland nimmt. Berlin hat mehr als genug; es braucht weiter nichts. Es hat zum Beispiel die riesige BfA mit zigtausend Mitarbeitern. Diese würde es auch nicht nach irgendwohin umziehen lassen! [...]

Politisch wären in den neuen Bundesländern erst mal die Eigentumsverhältnisse schnellstmöglich zu klären und daneben mit gleichhoher Priorität gezielte finanzielle Hilfen. Berlin als Luxus-Regierungssitz hat keine Priorität. Das durch einen nicht stattfindenden Regierungsumzug eingesparte Geld sollte man vernünftigerweise schnellstens dort anlegen, wo es wirklich dringend gebraucht wird. [...]

Angesichts der unübersehbaren Kosten für Wiedervereinigung, Golfkrieg und dessen Folgen, die Auswirkungen nicht endender Umweltvergiftungen mit deren unvorstellbaren auch gesundheitlichen Schäden und der vielen sozialen und zunehmenden fremdländischen Probleme in unserem Lande, dazu noch die Budgetknappheit allerorts läßt die Zukunft wenig Gutes erwarten. [...]

Berlin ist eine Weltstadt mit großer Vergangenheit; sie steht für Zilles Drehorgelmilieu, aber auch für Protz, Pomp und Großstadtkrawalle... und als ehemalige Reichshauptstadt für Paraden und sogar für Krieg, was leider auch für andere Hauptstädte dieser Welt kein Ruhmesblatt ist.

Kann es nicht sein, daß deshalb irgendwann im Ausland schale Erinnerungen von oppositionellen Gruppen im EG-Parlament für deren Zwecke geweckt werden, weil unliebsame Nachrichten aus dem Gebäude des „Berliner Reichstags“ kommen? Die jüngste Vergangenheit ist bei unseren jungen Nachbarn noch lange präsent! Darum muß Bonn mindestens Regierungssitz vom neuen Deutschland bleiben. Damit in Berlin keine Paraden mehr stattfinden, wäre Bonn auch als Hauptstadt wünschenswert; denn als bisherige Bundeshauptstadt steht die Universitätsstadt Bonn für Bescheidenheit, Beschaulichkeit, Demokratie, Befriedung, Freigebigkeit, Weltoffenheit und, wenn Bonn Regierungssitz bleibt, steht Bonn auch für vernünftige Sparsamkeit! Bonn war ein guter neuer Anfang und hat Zukunft, besonders weil das sympathische Bonn nicht nur geografisch fast im Herzen der Europäischen Gemeinschaft liegt. [...] Peter Wirtz, Bornheim

Es ist doch ganz einfach: Bonn heißt: die kleineuropäische Lösung, ohne die UdSSR. Zentrum Brüssel/London. Berlin heißt: die großeuropäische Lösung, Öffnung nach Osten.

Da erstere für das derzeitige Kapital kurzfristig in jeder Beziehung lukrativer ist, kann man sich das Kommende — mit oder ohne Volksentscheid ausrechnen.

[...] Grundgesetz? Einigungsvertrag? Manche Gesetze sind offensichtlich nur Makulatur. Nur die Wirtschaftsgesetze gelten. Helge Frings, Barnstorf

betr.: „Grüne plädieren für Bonn“, taz vom 10.6.91

Die 60 Prozent grünen Bonn-Befürworter: Flüsternd: eigentlich wäre es uns ja lieber, die Mauer stünde noch und unser West-Land weiterhin so schön kuschelig und beschützt von großen Vätern mit Raketen gegen die wir rebellieren können. Laut: Jetzt haben wir gerade das Kochen eines Vollwertgerichtes in der Bundestagskantine durchgesetzt und sollen womöglich in Berlin von Bulette und Eisbein... Da sagen wir NEIN!

Selbst in unserer Bonner Stammkneipe (ja, da gibt es tatsächlich eine) haben wir schon fast ein Rauchverbot durchsetzen können. Wo sollten wir damit in Berlin bloß anfangen? Da sagen wir gleich NEIN!

Moloch Berlin: Punks (lebendige) statt Gartenzwerge, Smog statt Biotop, die Ossis zu dicht auf der Pelle (haben ja noch immer nicht unsere Lernprozesse nachvollzogen). Da sagen wir NEIN!

Und von wegen „Brücke zum Osten“: Die kann nicht zentral über die Regierung geschaffen werden, sondern nur einzeln, ganz echt von Mensch zu Mensch von Karin zu Tatjana, von Helmut zu Michail, von Doris zu Lecht und so weiter. Noch einmal: Wir sagen NEIN!

Nachdem wir in unserem sauberen Bonn die Vereinigung spurlos an uns vorüberziehen ließen, werden wir auch die zukünftigen Weltereignisse hübsch in unserer rauchfreien Stammkneipe folgenlos ausschwitzen. Und da die Sonnenblumen nach elf Jahren ganz schön die Blätter hängenlassen, haben wir uns den unverwüstlichen Gartenzwerg (Keramik mit Biofarben) zum neuen Symbol erkoren. Dazu sagen wir JA! Ilse Onnasch, Breitbrunn