Das ist das Ende der Welt

Arabische Autoren über den Golfkrieg  ■ Von Jacques Naoum

Wir sind gegen den Krieg“, schreibt M.Tallal, Herausgeber der angesehenen Beiruter Zeitung 'As-Safir‘ und ein im gesamten arabischen Raum bekannter Autor: „Dieser Krieg ist kein arabisches Anliegen und bildet nicht das geeignete Mittel, das den Araber zum Erreichen seiner gerechten Ziele führen würde. Nicht jeder Kampf, geschweige denn irgendein Kampf, ist eine zwanghafte Notwendigkeit oder gar eine Pflicht; und nicht jeder Tod kommt einer Aufopferung gleich.Wichtig ist es, daß du zur richtigen Zeit stirbst — am richtigen Ort und für die gerechte Sache. Umsonst zu sterben, ist schlimmer als eine Niederlage, sogar schlimmer als Selbstmord.“

Wie M.Tallal hat die Mehrheit der arabischen Intelligenz vor den verheerenden Folgen dieses kollektiven, vom irakischen Diktator betriebenen Suizids gewarnt. Zu ihnen hatten sich Publizisten, Techniker und Politiker aller Schattierungen gesellt, ja sogar prominente Mitglieder des palästinensischen Widerstands wie Naef ha Wathmeh, der kurz vor Kriegsbeginn erklärt hatte: „Wir in der Demokratischen Front sind für den Frieden — und gegen Krieg und Annexion...“

Doch je mehr der Krieg von den arabischen Intellektuellen abgelehnt worden war, desto stärker ist heute — über drei Monate nach Kriegsende — das Gefühl der Bitterkeit. Es wächst der Zorn auf den Angreifer, der mit seinem ultramodernen Kriegsgerät systematisch den gesamten Irak vernichtet hat. Ausgeliefert zu sein in einer Schlacht, in der die Bevölkerung außer Tränen und Angst dem Angreifer nichts entgegenzusetzen hatte, gleicht für viele einem Weltuntergang.

„Es sah so aus“, schrieb neulich ein bekannter ägyptischer Kolumnist, „als hätten sich die Heere des Westens am New Yorker Times Square versammelt, um den häßlichen King Kong auszulöschen. Sie begannen damit, daß sie die gesamten Gebäude um diesen Platz mitsamt ihren Einwohnern mit Flammenwerfern und Artillerie ausräucherten.“

Auch ein anderer Gelehrter, der Literaturwissenschaftler und Schrifsteller I.Khury, empört sich: „Seit Beginn dieses obskuren Krieges, als wir zwar wußten, wie er begann, doch ohne Ahnung waren, wie er zu Ende gehen würde, fühle ich mich ratlos. Es waren Tage, deren Helligkeit sich mit der Dunkelheit der pechschwarzen Nächte mischte, wie sich Gerechtigkeit mit Unterdrückung mischten, Weisheiten gegen Beschimpfungen ausgetauscht wurden. An diesem Tage waren wir unfähig gewesen, die Gegenwart zu lesen und noch weniger, die Zukunft zu erkennen. Die Zeit lief rückwärts. Die Klugheit war verschwunden, und purpurrot wie Blut brannte das Öl.“

Ilyas al Khury hatte wie viele seiner Kollegen aus allen arabischen Ländern die Annexion Kuwaits strikt abgelehnt. Trotzdem kann er im Golfkrieg nichts anderes sehen als eine vom Westen geführte Strafexpedition gegen den Araber, einen neuen Kreuzzug; diesmal allerdings mit einem ungeheuren Ausmaß an Perfektion und Überlegenheit. „Ich zog in die arabische Wüste. Da konnte ich weit und breit nichts erblicken außer den zerfetzten Körpern von Frauen und Kindern; Opfer von fränkischen Kolonnen, die umherzogen, um alles zu vereinahmen, dem Befehl ihres Oberhaupts George Bush gehorchend, welchem einzig und allein die Entscheidung zukommt, wer getötet werden und wer am Leben bleiben soll.“

Noch scheint es zu früh, die Implikationen zu erkunden, die zum Waffengang am Golf führten. Und es sieht nicht so aus, als würden die unsichtbaren Zusammenhänge des Golfkriegs in absehbarer Zeit in den Vordergrund treten. Wir müssen uns an die offizielle Geschichte dieses Krieges halten — und an die Zeugnisse eines Infernos, das es in dieser Gewalt in den arabischen Ländern bisher nicht gegeben hat, vielleicht auch in der ganzen Welt nicht. Und dieses Mal fand der Wettstreit der Vernichtungswaffen obendrein vor den Augen der Fernsehkameras und damit vor den Augen der gesamten Welt statt. Die Lenker der elektronischen Waffensysteme hatten sich in ihren Kellern und Bunkern verkrochen, während die schutz- und waffenlose Bevölkerung draußen umherirrte.

Ali Shaker as Siab, einer der angesehensten irakischen Dichter, schildert, wie sein Dorf Jykur, ein verlassener Ort im Süden Iraks, mehrmals an einem Tag bombardiert wurde. Das Volumen jeder Bombe entsprach fast einem ganzen Haus; eine Beschreibung, die nicht übertrieben sein dürfte, da die Häuser dort aus Lehm und Palmzweigen gebaut und kaum größer als eine Hütte sind. Die hölzerne Brücke über den kleinen Fluß Buwaib zerfiel, und als er das sah, bekam er Angst, daß ihn dasselbe Schicksal ereilen könne. So kehrte er zu seinem Grab in Basrah zurück. An diesem Ort des Todes glaubt er den richtigen Schritt zu tun.

„Hier überqueren sie...In der Tinte sitzt der Ekel...Und unsere Sonne ist Blut, und bei unseren Mahlzeiten ist Blut auf dem Teller...Morgen wird Jesus im Irak gekreuzigt, und die Hunde werden Brak [Mohammeds heiliges Pferd] auffressen. Ist dies meine Stadt? Ist dies Bagdad oder Gomorrah?...Kehren sie zurück, sind sie im Herzen zu Tode verwundet...Ihre Wege Feuer...Verwundete Augen zwischen Rissafa und dieser Brücke...Unsere Stadt, ihre Häuser zu Staub...Es standen in jeder Ecke ein Kreuz und eine Mutter ...Heiliger Gott, dies ist die Agonie der Stadt.“

Diese Zeilen stammen aus As Siabs elftausend Wörter langem Epos, das er während der Nächte der „großen Ungewißheit“ verfaßte, „wo der Hauch der Toten den Lebenden immer näher rückte“. Dieses Epos gilt inzwischen als Prototyp des Literaturgenres, das von irakischen und arabischen Schriftstellern während des fünfwöchigen Golfkriegs geschaffen wurde.

Diese Literatur besteht im wesentlichen aus Impressionen, Visionen und Interpretationen der Ereignisse des „Wüstensturms“. Sie bilden das umfangreiche Tagebuch des gnadenlosen Bombeninfernos. Die Prosatexte wie die Gedichte dieser Literatur vermitteln in düsteren, bilderreichen Beschreibungen das Bild einer Endzeit. Und sie sind eine Anklage gegen deren Verursacher: gegen den irakischen Diktator Saddam Hussein; vor allem aber gegen das westliche Bündnis.

„Rüstet euch nicht zur Abreise...

Rennet nackt — kehrt zurück zur

ersten Gebärmutter ... zur

Mamma...

Rüstet euch zur Abreise nicht...

Tragt nur Stöcke und rennet...

Weh— wo ist der Mond ... Wer hat

ihn euch genommen...

Weh— weshalb ... loderndes Feuer

... Wehe, wo sind die Perlen des

Ruhms...

Der Mond ist verschwunden ...

Rennet nackt ... rennet“

Selten war die Literatur so eng mit den wirklichen Geschehnissen verknüpft wie in der Zeit dieses Krieges. Hier war der Schriftsteller nicht Visionär, sondern Reporter. Und je weiter anschließend das Bild der systematischen Verwüstung in der Wirklichkeit vervollständigt wurde, desto mehr geriet der Schriftsteller in die Lage, an seinen Visionen vom Zusammenbruch zu ersticken, wenn es ihm nicht gelang, sie schließlich in amorphen Urbildern aufzulösen.

„Bevor er am Rande seines Grabes

einschlief,

sagte er zu mir: Im Frieden vergessen

wir den Krieg,

und im Krieg vergessen wir den

Frieden...

So lehnte er sich an seinen Tod und

verschwand.

Für wen starb er; für wen erstickte

die Asche...

und er verschwand...“

Den Tod als letzte bewußte Handlung darzustellen, spiegelt Hoffnungslosigkeit, Resignation und Abscheu angesichts eines selbstherrlichen Diktators und seines allein aus wirtschaftlichen Gründen angezettelten Gemetzels. Hier im freiwilligen Tod ist der letzte Protest möglich, der den Menschen bleibt, um ihre Würde zu unterstreichen. Ein kollektiver Freiheitsakt, den die Geopferten zustandebringen, um mit ihrem Protest ein Fanal für die kommenden Generationen zu setzen.

Für andere Autoren wie Kamel Saleh wird diese Periode ein Eckpfeiler ihres Literaturschaffens. Das gilt auch für Badr Chakib as Sayyab, in dessen eingangs erwähntem langen Gedicht er zu seinem Grab in Basrah geht. An anderer Stelle schildert Sayyab eine Vision der Ewigkeit. Hier wird aus der Selbstreflektion ein kosmisches Schiff, das ins Reich des Jenseits vordringt.

„Ich las meinen Namen auf einem

Stein

in düsterer Wildnis/ in rote Steine

eingeritzt

auf einem Grabstein/ wie fühlt sich

ein Mensch vor

dem eigenen Grab?/ Zu ihm

hingezogen? Ist er am Leben?

Ist er tot?

Daß er seinen Schatten auf dem Sand

wahrnimmt

wie ein verlassenes Minarett? Wie

ein Friedhof

wie ein Minarett, wo einst der Name

Gottes genannt wurde

und mein Name ebenso

aufgezeichnet war

Einst der Größten Namen wurden

eingeritzt

heute vom Staub belagert sein

Name...“

Andere Autoren wie Nagib Iskandar erleben den Golfkrieg als ein Vorspiel, das das Ende der Welt einleitet. Gestützt auf alt-orientalische Sagen, wonach sich das Weltende in der Ebene von Majidö her (nordöstlich des Irak) ereignen wird: „Kehre zum Bette im Gras/ und trage die Blumen der Nacht/ Es werden die Wände zergehen/ die häßlichen Betonbunker. Suche den Horizont nicht mit deinen Augen/ deinen schwarzen Augen/ den schwarzen Horizont von Soldaten, die den Golf überfüllen... Sie versprechen hier Majidö/ schau aus deiner Erhabenheit auf die Rosen und das Gras/ bevor der Sand brennt. Löse dich nicht auf im Weinen/ die Soldaten sind tot/ und der Rest der Flotte verhöhnt das Ende der Welt, meiner kleinen.“

In dieser Vision vom Weltende vermag nur noch ein Gefühl Trost zu geben, die metaphysische Bedeutung der Trauer. Die Gewißheit, daß man lebt, um geopfert zu werden, spendet gnädigen Trost. Damit lassen sich Schrecken und Auflösung überstehen, eine Klage, die Gott beim Jüngsten Gericht erhören wird.

Der Rundfunkkommentator A.Alabi beschreibt ein Gefühl zwischen tot und lebendig; eine Situation, in der das verwundete irakische Volk sich noch immer befindet. „Auf mich wird geschossen. Ich falle verwundet — ich betaste meinen Körper. Ich bin nicht tot, aber irgendwas hat in mir gewirkt.“

Sind die Kriege ein göttlicher Fluch? Sind sie den Menschen aufgezwungen? Wird es sie bis zum Ende der Zeit geben? Fragen über Fragen, gestellt von den Schriftstellern im Namen der Menschen.

„Wie kommt es“, schreibt der bekannte Autor R.Khury, „daß solch ein Krieg mit solch einer Vernichtungskraft zum Siegeszug westlicher Perfektion erklärt wird? Wo bleibt die ungeteilte Humanität, die der Westen als ewige Fackel über allem leuchten sehen will? Und die erklärten Prinzipien der christlichen Nächstenliebe? Was für eine Humanität ist das, die es verbietet, daß Kinder zu Milchpulver kommen und Greise und Kranke ihre Medikamente und medizinischen Geräte erhalten?“

Bei anderen Autoren ist die epische Breite der Klage gegen die westlichen Aggressoren mit Pathetik getränkt, so bei H. al Alawi aus dem Irak: „Oh meine drei Söhne! Oh Ali, oh Haidar, oh Hussein, aus den weiten Tälern rufe ich euch. Wo seid ihr jetzt an vorderster Front? Wie schön wäre es! Tötet ihr den Aggressor und seine Knechte? Oder seid ihr auf dem Rückzug? Oh, wehe mir! Oder gar im Sand begraben... Oh Wehe, oh Trauer... Oh meine Söhne Ali, Haidar Eufrat, oh Monde meines Hauses, welches ich vor vierzehn Jahren verließ. Sagt ihr mir, wo ihr euch in dieser Stunde befindet? Seid ihr im Meer ertrunken? Oder schlaft ihr neben einer entwurzelten, verkohlten Palme? Habt ihr Wasser zum Trinken... Nahrung zum Essen? — Wahrscheinlich irrt ihr jetzt herum in der Wüste, in der Kälte der Nacht, ohne Orientierung inmitten der Einöde.“

Der Einfluß einer langen Tradition von Antikriegsliteratur westlicher Prägung spielt eine große Rolle in den Werken der irakischen und anderer arabischer Schriftsteller. Der irakische Autor Karim Rachid hat seine während des Golfkriegs entstandene Gedichtsammlung dem amerikanischen Dichter Walt Whitman gewidmet, der einen großen Teil seines literarischen Schaffens im 19.Jahrhundert darauf verwandt hat, die Aggression der weißen Siedler gegen die indianische Urbevölkerung aufzudecken.

Karim Chakirs Gedicht Beende den Krieg, Walter Whitman ist ein indirekter Appell an die Antikriegsbewegung in den USA und in anderen Ländern der Anti-Saddam-Koalition. Die Klarheit eines Maienhimmels; der Wind, der durch einen rauschenden Ahorn streicht; das klare Wasser eines Baches... Mit einem Wort, alles, was als Merkmale des Friedens zu den festen Elementen der Whitmanschen Prosa gehört, taucht in Chakirs Gedicht auf - wie Visionen von Wunschträumen, die von der Wirklicheit des Kriegsalltags vernichtet worden sind.

„Für Walter Whitman:

Er liebt die Sicht eines klaren

Himmels.

Doch kein Himmel ist klar, noch ist

das Wasser klar.

Und die Heere des Krieges bringen

keinen Frühling,

noch lassen sie die Frösche im Teich

quaken.

Weder Bienen, noch Schmetterling

und Amsel—

kein Aroma oder Frische der

Rosen...

Hier vermengt sich der Himmel ...

mit dem Gelb des Rauchs und

des Pulvers.

Vergilbte Gräser im Verfall

begriffen...

Für Walter Whitman!

Und er liebte den Frühling, das Spiel

der Vögel...

Eine Flöte,

und es sang der Himmel über den

Vögeln,

nicht die Flugzeuge.

Auf der Erde empfing er den Frieden

des Morgens... und den

Frieden des Abends...

und die Lilien der Felder...

Friede den Häusern und den sicheren

Städten...

Doch sie versperrten seinen Himmel

mit Rauch...

Den Weizen in den Feldern

beschlagnahmt...

Die Vögel in den Dörfern

zerstochen...

Das Blut fließt über die Schaufenster

des Himmels...

Das ist der Krieg, Walt!“

In Der Killer lacht schreibt die irakische Dichterin Yamaa al Id: „Wir, wir haben nur zu schweigen und zu beten und alles auf Gott zurückzuführen, ... allein an Gott uns zu wenden, wenn wir gepeitscht und niedergestochen werden ... Er allein weiß von unserer Tragödie. Wir können schreiend sagen: Wir gestehen, wir sind die Opfer, wir erkennen es, ... wir gestehen es...“

Es mag stimmen, daß die Golfkrise seit dem 2. August 1990 die arabische Öffentlickeit entzweit hat. Doch die Befürworter der irakischen Invasion ebenso wie die bedeutende gegnerische Mehrheit lassen eine gemeinsame Haltung erkennen: die Ablehnung der westlichen Militäraktion. Und je überwältigender und systematischer die westliche Kampagne wirkt, desto bitterer werden ihre Reaktionen.

Viele arabische Schriftsteller sehen in dieser Fragestellug nichts anderes als die Reaktion auf den offenen Ausdruck des Hasses und des Rachegefühls, wie sie in der westlichen Welt gegen die Araber herrschen. In dem Prosastück Der Einäugige schreibt der Literaturwissenschaftler Ilyas al Khuri aus dem Libanon: „Der Westen ist einäugig — er sieht mit einem Auge und schließt das zweite und schläft. Er sieht die Menschenrechte, aber nicht die Menschen.

Er sieht die Notwendigkeit, die Landschlacht so zu führen, daß das Leben der amerikanischen Soldaten geschont wird. — Dabei will er die Tausende und Abertausende von Toten und Verwundeten der systematischen Bombardierung nicht sehen. Er betrachtet sie lediglich als Zahlen, wie Verluste an Panzern und Kriegsmaterial, und das Ganze als Gelegenheit, um mit seinen wehrtechnischen Innovationen an Vernichtungsmitteln zu experimentieren. Der Araber ist nicht existent, gleich, ob er in Basrah, Beirut oder in Tanger lebt.

Wir erklären uns bereit, alle Grausamkeiten dieser technischen Greuel zu verkraften, zu ertragen, daß ihr uns Tag und Nacht bombardiert. Doch nicht mehr ertragen können wir ihre Heuchelei und Doppelzüngigkeit.“