INTERVIEW
: Die Residenzstadt Würzburg vor 1750: „Keine Chance für ,falsche Fuffziger‘“

■ Der Kunsthistoriker Wilfried Hansmann über Balthasar Neumanns äußerst kurze Wirkungsgeschichte/ Der Fürst konnte sich hundertprozentig auf seinen Baumeister verlassen

Wilfried Hansmann vom Rheinischen Amt für Denkmalspflege in Brauweiler bei Köln schrieb seine Doktorarbeit über Balthasar Neumanns Treppenhaus und das Große Neue Appartement in Schloß Augustusburg zu Brühl und verfaßte das DuMont-Taschenbuch „Balthasar Neumann — Leben und Werk“.

taz: Hat Balthasar Neumann nicht lediglich Lösungen für architektonische Probleme gefunden, die nur für ihn existiert haben?

Wilfried Hansmann: Ja. Für die Architekten, die nach ihm gekommen sind, hatte seine Arbeit keinerlei Bedeutung. Sie steht in dieser Zeit für sich; mit diesen Raumlösungen hat der Barock einfach seinen Höhepunkt erreicht. Denken sie an das Würzburger Treppenhaus mit seiner gewaltigen Kuppellösung, einem Gewölbe mit der Spannweite von 36 Metern. Das hat vor Neumann niemand gewagt.

Und nach ihm auch nicht.

In der Moderne gibt es bestimmt Architekten, die mit anderen Materialien ähnliche Leistungen vollbringen, aber damals war es einzigartig.

War dies L'art pour l'art?

Dies ist eine Betrachtungsweise aus der Gegenwart. Der Barock hat dies ganz anders gesehen, für jene Zeit war es eine höchst bedeutungsvolle Architektur. Fürst Carl Eusebius von Liechtenstein hat einmal gesagt, daß gebaut werde, „um schöne Monumente zu hinterlassen zum ewigen Gedächtnis“. Da spielt für den Barockmenschen die Vorstellung eine Rolle, daß er unsterblich wird durch Werke der Baukunst, die er hinterlassen hat. Das ist eine andere Dimension als nur L'art pour l'art.

Wer sollte unsterblich bleiben — der Auftraggeber oder der Architekt?

Das bezieht sich auf den Auftraggeber...

... wobei heute mehr die Rede von Neumann ist...

Das ist sicherlich so. Aber die Schönborns hatten in Balthasar Neumann eben einen Baumeister, der ihren Anspruch, schöne Monumente zu hinterlassen, in perfekter Weise erfüllen konnte.

Warum wurden nach dem Tod Neumanns seine Lösungen nicht weiterentwickelt?

Nach 1750 wandelte sich die Gesellschaft. Die neue Zeit sah mehr den praktischen Zweck eines Bauwerks. Die Zeit für große Repräsentation durch übersteigerte Monumentalität war vorbei. Neumanns Architektur war nach der Mitte des 18. Jahrhunderts einfach überlebt; deswegen wurde sein Name bis in die zweite Hälfte des 19. Jahrhunderts vergessen.

Und als Neumann neu entdeckt wurde, gab es Baustoffe und Bautechniken, die seine Lösungen überflüssig machten.

Das käme auf einen Versuch an. Neumanns Wallfahrtkirche Vierzehnheiligen kann man sicherlich mit Stahlbeton nachbauen. Aber er hat es eben ohne Stahlbeton, mit unglaublichen Formen-Erfindungen, geschafft.

Neuman war im Fränkischen und im Rheinischen ungeheuer erfolgreich und hatte deswegen eine sehr enge Bindung an seine Mäzene. Ist das nicht manchmal in Opportunismus umgeschlagen?

Was blieb einem Architekten des 18. Jahrhunderts eigentlich übrig? Er war aufgrund seines Bildungsweges den Schönborns, seinen Bauherren, völlig untertan. Denn sie hatten ja sein Talent erkannt und ihn gefördert, er war ihnen unentbehrlich. In dieser Zeit waren Land und Leute persönliches Eigentum der Regenten und Neumann auf seine Weise ebenfalls. Alle Leistungen der Künstler galten als Ausfluß fürstlicher Herrschergewalt. So blieb ihm gar nichts anders übrig, als sich an die Schönborns angekettet zu fühlen.

Ist Ihrer Meinung nach ein Fünfzigmarkschein angemessen, um sein Gedächtnis zu wahren?

Wenn Sie mich nach einem Fünfzigmarkschein fragen, dann fällt mir das Stichwort vom „falschen Fuffziger“ ein. Ich stelle mir darunter jemanden vor, der sich auf unrechtmäßige Weise Vorteile zu verschaffen versucht. Das widerspricht Neumanns Charakter und seiner Gesinnung vollkommen. Nach allem, was wir aus seinem umfangreichen Briefwechsel wissen, war er von einer fast pedantischen Ehrlichkeit und Geradlinigkeit. Das hat ihn auch dem Fürsten gegenüber als Vertrauensperson erscheinen lassen. Die Schönborns konnten sich auf Neumann in jeder Situation verlassen. Als „falscher Fuffziger“ hätte er sicherlich am Würzburger Hof keine Chance gehabt. Interview: Dietmar Bartz