Grüße aus Lombok

■ Das Türkis der kalifornischen Städte, die Tücken der spanischen Sprache, die Schönheiten Balis: besonders zur kalten Jahreszeit freut sich Martin Jahrfeld über einen Hauch von Süden aus der Ferne. Ansichtssachen...

Das Türkis der kalifornischen Städte,

die Tücken der spanischen Sprache,

die Schönheiten Balis: besonders zur kalten Jahreszeit freut sich MARTIN JAHRFELD

über einen Hauch von Süden aus der Ferne. Ansichtssachen über Ansichtskarten.

R

ainer fährt dieses Jahr wieder in die winterlich leere Toskana. Spazieren unter Pinienhainen, gut essen, Capriccioso Cappuccino. Susanne war diesmal in Kenia und hat dort — wie sie erzählt — in nur zwei Wochen sechs Heiratsanträge von den hiesigen Kenianern erhalten. Leider alles arme Schlucker, aber irgendwo hebt's doch das Ego, sagt Susanne. Stefanie und Christoph fliegen über Weihnachten nach Thailand, weil die beiden immer schon nach Thailand wollten und weil man da ja wahrscheinlich auch bald nicht mehr hinfahren kann. Von wegen Massentourismus und so. Außerdem erwartet Stefanie im April ein Baby, und Christoph bekommt dann auch lange keinen Urlaub mehr, so daß Thailand fürs erste der letzte Urlaub sein wird. Simone fliegt nächste Woche nach Formentera und will dort angeblich nichts machen, außer die schwächere Sonne und die leeren Strände der Nachsaison genießen, Bücher lesen (Männer lassen lieben) und nachdenken (über ihr Verhältnis zu Thomas). Nach den beiden vergangenen Monaten im Büro brauche sie das jetzt, ich könne mir gar nicht vorstellen, was in dem Laden derzeit los sei. Und dann der ganze Streß mit Thomas. Claudia war mit ihrem neuen Freund auf Bali und auf Lombok, was keine indonesische Frühlingsrolle ist, sondern eine kleine Nachbarinsel, die man von Bali aus mit dem Schiff erreichen kann. Und wie schön die Menschen dort seien, schreibt Claudia. Und wie klar das Wasser, schreibt ihr neuer Freund. Robert fährt in diesem Jahr wieder zum Psycho-Drama-Workshop in die herbstlichen Pyrenäen, weil ihm das echt was bringt. Aber Robert war schon immer so. Nach Gomera fährt in diesem Jahr offenbar niemand. Nach Gomera fahren überhaupt nur noch ganz ausgemachte Trottel, die immer noch nicht mitbekommen haben, daß dieses kanarische Eiland völlig mega-out ist und sich nur noch birkenstock-beschuhte Fusselbärte und alleinstehende Mütter dorthin verirren.

Ganz anders Kalifornien. Oh ja. California, here I come. The laboratory of the future and be immer noch sure to wear a flower in your hair. Wie das Leben manchmal so spielt, fand ich heute morgen im Briefkasten zwischen Telefonrechnung und einer Einladung zu einer Tagesbusreise in die Lüneburger Heide (Unvergeßliche Naturschönheiten, zweihundertfünfzig Gramm Katenschinken und ein handgeschnitztes Wetterhäuschen im Fahrpreis inbegriffen) eine Ansichtskarte von Gerd aus San Francisco. Merkwürdige Farben scheint es in San Francisco zu geben. Die Postkarte zeigt Häuser, Straßen und Blumenbeete in cremigem Pink und Türkis. So als sei ganz San Francisco mit Himbeer- und Blue-Cura¿ao-Softeis übertüncht worden. Alles sehr aufregend hier, schreibt Gerd, besonders Chinatown mit seinen vielen Chinesen. Aber der Jet-Lag habe ihm in den ersten Tagen doch sehr zugesetzt. Ja, ja, der Jet-Lag, denke ich, während ich die Karte hin und her wende, der Jet-Lag ist wirklich eine Geißel des modernen Menschen.

A

n der Tagesfahrt in die Lüneburger Heide werde ich wahrscheinlich nicht teilnehmen, schon allein weil man das ja niemandem erzählen, geschweige denn Ansichtskarten von dort schreiben kann: „Sitze gerade bei Katenschinken und Naturschönheiten und bewundere mein neues handgeschnitztes Wetterhäuschen. Heute abend geht es leider schon wieder heim.“ Wie hört sich das denn an?

Letzte Woche aber bekam ich eine Karte aus Mallorca, jener Insel mit den beiden stimmlosen „L“ in der Mitte, von der es im Spanischen ja überhaupt recht viele gibt. Wie beispielsweise auch beim Wort Paella, was aber im Gegensatz zum indonesischen Lombok keine Insel ist und auch keine Frühlingsrolle, sondern ein beliebtes Nationalgericht aus Reis und Resten. Aber ich beginne abzuschweifen, denn ich wollte ja von Mallorca erzählen. Mallorca ist nämlich mitnichten die Rentner- und Kegelclub-Insel, als die sie in der öffentlichen Meinung immer herhalten muß, sondern ein gelungener Wurf der göttlichen Schöpfung, ein üppiges Eiland von rarer Schönheit, wie mir alle Dagewesenen übereinstimmend versichert haben. Besagte Ansichtskarte jedoch war nun schlechterdings nicht dazu geeignet, jenes schiefe Mallorca-Bild geradezurücken, sondern bestätigte vielmehr all die schlimmen Klischees, die über diese Insel seit langem im Umlauf sind. Auf dem Foto posierte ein schlanker junger Mann von fragwürdiger Schönheit, den goldkettigen Astralleib hatte er lässig ins seichte Mittelmeer drapiert, wobei sich seine Geschlechtlichkeit unter dem feucht-knappen Badeslip deutlich abzeichnete, der zu allem Unglück auch noch anthrazitfarben war. Und sein Augenaufschlag sagte soviel wie: „Nimm mich, because it's only a holiday.“ Manta-Fahrer goes Beach-Party.

Was soll man nun von soviel Pauschal-Erotik halten, zumal auf Postkarten, die einem gute Freunde ins Haus schicken? Ich kann mir das nur so erklären, daß weite Teile meines Bekanntenkreises samt ihres kritischen Bewußtseins hinsichtlich Massentourismus und Dritte-Welt-Ausbeutung doch eine ziemliche Angst davor haben, mit einem Pauschaltouristen verwechselt zu werden. Und womit man nicht verwechselt werden will, das parodiert man. Denn was man parodiert, davon grenzt man sich ab. Und deshalb schickt man aus Italien Karten mit dem Papst, obwohl man doch schon lange kein Katholik mehr ist, aus Griechenland buntbemützte Sirtaki-Tänzer, obwohl man Folklore doch ziemlich häßlich findet, aus Portugal kolorierte Sonnenuntergänge, die dem Auge weh tun. Und aus Mallorca eben Karten mit braungebrannten Manta-Fahrern, obwohl man doch selbst Passat-Kombi fährt.

Doch mein Problem soll das nicht sein, zumal mir Ansichtskarten, besonders wenn's hier kälter und ungemütlicher wird, immer eine Freude sind und ich sie auch gerne an die Wand hefte, schon allein um die Weltläufigkeit meiner Freunde und Freundinnen zu dokumentieren. Ich gehe inzwischen zum Spanier um die Ecke und bestelle mir eine schöne große Paella. Und die beiden L in der Mitte sehr stimmlos gebraten. Und als Vorspeise einen Lombok. Aber nur wenn er frisch ist.