„Man muß in seinem Innern böse sein“

■ Ein Gespräch mit René Lasartesse, dem Ex-Weltmeister der 70er Jahre und „meistgehaßten Catcher“ von Europa

Wenn der Lasartesse kampfeslustig den Ring betritt, tobt das Publikum. „Du Schwein“, ist noch die geringste Beleidigung, die sich der ausgemachte Buhmann anhören muß. Auch heute noch, wo er mit 63 Jahren der älteste Profi-Catcher Europas ist. Seine Glanzzeit erlebte Lasartesse in den siebziger Jahren, als er Welt- und Europameistertitel in Serie einheimste.

taz: Herr Lasartesse, Sie bezeichnen sich selbst als Profi-Ringer. Tatsächlich aber hat Catchen doch ziemlich wenig mit dem zu tun, was man unter Ringen versteht, oder?

René Lasartesse: Es gibt Amateur- und Profi-Ringen — das ist ein großer Unterschied. Die Amateure machen das für Lorbeeren, Pokale und Medaillen, und wir machen das zum Leben.

Und die Regeln?

Bei Amateuren darf man keine Griffe anwenden, die gegen die Gelenkrichtung gehen. Wir machen alles gegen das Gelenk, das tut mehr weh. Außerdem sind bei uns die Regeln insgesamt lockerer und man muß mehr Spektakel machen. Die sportliche Leistung muß auch sein, das ist die Basis. Aber ich kann etwas einfach so verkaufen, oder ich mache noch eine schöne Verpackung drum. In Amerika beispielsweise ist die Verpackung riesengroß und das Produkt ganz klein.

Aber ist es nicht gerade das, was zumindest bei Laien den Eindruck erweckt, es würde alles nur noch Show sein?

Ich bin auch nicht so hundertprozentig dafür. Nur muß man auch gerecht sein. Wie die Amis schon von ihrer Figur aussehen, das sind alles hundertprozentige Athleten. Die haben ja Figuren wie Götter. Das kommt nicht vom nichts tun. Außerdem beherrschen sie Griffe, die wir hier gar nicht machen. Die stemmen Gegner hoch, die 130, 140 Kilo schwer sind. Ist das kein Sport?

Irgendwann haben Sie für sich die Rolle des Bösewichts entdeckt, dessen, der vom Publikum am meisten gehaßt wird.

Ja, aber den Bösen kann man nicht spielen. Das Publikum merkt das, sie glauben das dann nicht.

Das heißt, Sie spielen den Bösen nicht, Sie sind es?

Man muß im Innern böse sein.

Und Sie sind im Innern böse?

Ja, absolut. Ich habe das gelernt. Man kann das natürlich entwickeln. Aber es muß etwas da sein. Von nichts kommt nichts. Es muß ein Kern da sein. Und erst dann sagt das Publikum: Er ist ein Schwein, er ist wirklich so ein Schwein.

Dann kann man vielleicht eher sagen, Sie sind ein Schauspieler mit einer perfekten sportlichen Ausbildung.

Ja.

Also doch ein Schauspieler?

Ja, natürlich. Jeder ist ja ein Schauspieler im Leben, mal mehr, mal weniger.

Und trotzdem sagen Sie, daß es für die Kämpfer immer darum geht zu gewinnen, daß nichts vorher abgesprochen ist, wie etwa, daß der „Gute“ gewinnen muß?

Das ist absoluter Quatsch. Ich war immer der Böse und ich habe ja sehr oft gewonnen.

Und einem richtigen Ringer geht es immer noch darum zu gewinnen?

Sagen wir nicht, einem richtigen Ringer — einem guten Profi. Und dem geht es in erster Linie darum, einen guten Kampf zu machen. Nicht, ob er gewinnt oder verliert, daß die Leute Unterhaltung haben, das ist die Nummer 1. Und Nummer 2 ist erst zu versuchen, den Kampf zu gewinnen. Wobei es aber so ist, daß ich, wenn ich drei- oder viermal hintereinander verloren habe, für das Publikum uninteressant geworden bin.

Wie ist es, Weltmeister zu sein?

Danach ist es Scheiße, da kommt jeder kleine Affe und versucht es. Das ist ein wenig wie früher im Wilden Westen mit den Pistoleros. Da muß man wirklich wahnsinnig aufpassen, auch weil dann mit linken Methoden gearbeitet wird. Es gibt ja viele Sachen, die man machen kann, und die das Publikum gar nicht mitkriegt. Nicht mal der Ringrichter kriegt das mit.

Was sind das für Gemeinheiten?

Etwas ganz Einfaches: Wenn sich einer nach einem Hüftschwung auf dich fallen läßt und dabei wie versehentlich mit den Fingern gegen deine Augen geht. Wenn du Pech hast, hast du ein Auge weniger und kein Mensch hat es gesehen. Und es gibt sehr viele solcher Kleinigkeiten. Und es gibt auch Ringer, die bekannt dafür sind, daß sie mit solchen Methoden arbeiten.

War auch der „meistgehaßte Ringer Europas“ für solche Methoden bekannt?

Meistgehaßt beim Publikum, nicht bei den Kollegen — das ist ein großer, ein riesiger Unterschied. Gehaßt vom Publikum ist man fürs Busineß. Wenn man in der Garderobe gehaßt wird, dann weil man mit solchen linken Tricks arbeitet.

Hatten Sie schon schwere Verletzungen?

Ich hab' wahnsinnig Glück gehabt. Ich hatte 17 Brüche, Bein gebrochen, Schulter, Schlüsselbein, die Rippenbrüche zählt man gar nicht mehr. Aber ich hatte keine Verletzung, nach der ich nicht mehr hätte weitermachen können.

Wann haben Sie denn zum letztenmal gekämpft?

Vor zwei Monaten.

Das heißt, Sie kämpfen jetzt immer noch?

Ja, ab und zu.

Kann man in dem Alter noch mithalten?

Ja, das geht wunderbar. Das ist ja nicht wie ein 100-Meter-Lauf. Routine spielt eine große Rolle. Ich habe bald 11.000 Kämpfe.

Müssen Sie jetzt noch aus finanziellen Gründen ringen, oder haben Sie genug verdient.

Man kann in diesem Beruf nicht so viel verdienen. Gut, jetzt in Amerika, da kann man reich werden mit dem Ringen. Aber das ist für mich zu spät. In Europa kann man nicht so viel verdienen, daß man sich davon zur Ruhe setzen kann. Aber man kann ja auch andere Sachen machen. Ich spiele im Moment viel Theater.

Theater?

Ja, zuletzt habe ich gerade Einer flog übers Kuckucksnest gespielt, den Indianer. Das ist eine gute Rolle gewesen, da muß man wenig reden. Interview: U. Biber/A.Hösch