Ostler wollten raus

Ostler wollten raus

Ein guter Kreuzberger Freund, ein 68er Lehrer, findet sie einfach widerlich autoritär, seine neuen Kollegen aus dem Osten, er will mit ihnen möglichst nichts zu tun haben, aber schlecht behandelt werden sollen sie nun auch nicht, sie haben ja schließlich Pech gehabt, daß sie drüben erwachsen werden mußten; aber irgendein Nachlernen unserer pädagogischen Grundsätze müßte es schon geben...

Ein guter Freund vom Prenzlauer Berg, ein anerkannter DDR-Künstler, hat im letzten Jahr vor der Einheit so gut verdient, daß er sich ein Schnitterhaus an der Ostsee noch in Ostmark kaufen konnte und in eine Westimmobilie eintauschen konnte; jetzt verdient er gar nichts mehr. Er war zu DDR-Zeiten fast frei in seiner Nische, in der auch wir Westler uns gern aufgehalten haben; jetzt fühlt er sich aus allen Welten herausgefallen: So wie ein anderer Freund, der aus seiner Babelsberger Filmenklave vor der Bundesrepublik gleich bis nach New York floh, wo er jetzt für Hollywoods Traumfabrik Geschichten erfindet...

Die Ostler waren eingemauert und wollten raus. Aber es scheint heute fast so, als sei vielen von ihnen das »Nicht Dürfen« wichtiger als die Mauer selbst gewesen.

Wir Westler waren vor dem deutschen Spießergrauen unserer Nazi- Eltern ins Sanctuarium nach West- Berlin geflohen. Hier lebten wir verwegen, gegen viele Regeln, revolutionsverträumt und waren doch mehr die liberale, verwestlichte Mitte der Gesellschaft, als wir je wahrhaben wollten.

Jetzt ohne die Mauern bemerken beide Seiten verunsichert, wie verschieden sie immer waren. Früher ließen wir uns nach guten Gesprächen in Ruhe, fuhren oft erleichtert darüber, daß sich nichts ändern mußte, zurück in unser von den Ost- Grenzern gut behütetes Ghettoleben, und die Ostler waren froh, daß sie uns wieder los waren, von ihrer ganz anderen DDR oder vom Rübermachen weiterträumen konnten. [...] Jetzt leben wir in einer Stadt und schleichen umeinander herum, weil uns allen das lebenswerte, das trennende Gemeinsame verloren gegangen ist.

Uns verband die Sicherheit eines von der Realität zwar bestimmten, aber zugleich befreiten Berlins. Eingemauert sein als frei sein, unverantwortlich selbstverantwortlich und ausgehalten von den Steuerzahlern im Westen. Und drüben die alte nostalgische, verführerisch irrationale Nähe und Faszination des Ostens, Rußlands Seelentiefe kommunistisch fortgeschrieben und für die Deutschen von der SED noch einmal für 40 Jahre preußisch konserviert, aber schon so lange ohne einen realen Gehalt. Der Traum vom Osten als einem Fluchtpunkt vor dem amerikanisierten Westen, seinen inzwischen von uns angenommenen und genossenen demokratischen Freiheiten und Zumutungen ist zerplatzt wie eine stumpfe Seifenblase.

Berlin ist — ob als Hauptstadt oder nicht — eine westliche Metropole. Schon lange. Das Gerede von der Brückenfunktion nach Osten ist ein Selbstbetrug.

Den Osten gibt es nicht mehr. Der größte Feind, das allgewaltige Böse, wie die gute Alternative sind nur noch wir selbst. Die Gelegenheit zum selbstverantworteten Machen ist größer geworden und schwerer zu ertragen. Keine Fluchten mehr von Ost nach West oder umgekehrt. Now, we have Berlin, and than we take Manhattan — das sind jetzt unsere Koordinaten.

Das Theater, das unsere Freunde im Osten wegen der angeblich ungerechten Abwicklung ihrer Vergangenheit aufführen, ändert daran nichts. Es ist nicht mehr als die blitzschnelle Einübung kollektiver und demokratischer Verteilungsmechanismen [die Grundstücke den Wessis, die Arbeitslosigkeit den Ossis, ganz demokratisch, säzzer], die den schmerzhaften Anpassungsprozeß abkürzen sollen. Außerdem erleichtert die Aufregung über das Kolonisiertwerden das Verdrängen der eigenen Mitverantwortung für 40 Jahre SED-Herrschaft. Das gehört zu den demokratischen Spielregeln, wird ihnen nicht viel nützen, aber ohne Protest kriegen sie noch weniger.

Ihr Klagen beschränkt vor allem den Mut der Politiker, bei ihren Planungen für die Weltmetropole richtig hinzulangen, und verschafft denen Argumente gegen Projekte, die sie ohnehin nie wollten. So mußte schon das jüdische Museum Daniel Libeskinds vorläufig dran glauben, das als gebauter Himmelsblitz die große jüdische Vergangenheit Berlins unübersehbar in den Neuanfang hätte einfügen können. Und auch die Entscheidung für die biedere »Blockrandboulettenbebauung mit Kiez- Qualität« am Leipziger und am Potsdamer Platz anstelle jener »sieben Wolkenkratzer z.B., die sich in brüderlichem Halbkreis zu Begrüßung« des endlich im Westen angekommenen Ostens aufstellen, geht schon auf das Konto der jaulenden Ostler.

So plagt viele Westler die Sorge, daß es den Ostlern gelingen könnte, einfach aus Rache für ihre an die DDR verlorenen Lebensjahre die Bundesrepublik noch einmal vom westlichen Geisteshorizont loszureißen.

Der Autor ist exponierter Realpolitiker der Grünen