Entrümpelung der Kultur

Katlenburg (taz) — Ein westdeutscher Pfarrer rettet 12.000 ostdeutsche Bücher vor der Vernichtung.

Von einer Mülldeponie in Plottenberg bei Leipzig haben Pfarrer Martin Weskott und Mitglieder seiner Kirchengemeinde aus dem südniedersächsischen Dorf Katlenburg mehr als 12.000 neuwertige Bücher abtransportiert und damit vor der Vernichtung gerettet. Die meisten dieser Bände, die derzeit im Speicher des Pfarrhauses und in Nebengebäuden der Katlenburger Kirche zwischengelagert werden, sind in sehr gutem Zustand, viele Bücherstapel noch in Plastikfolie eingeschweißt.

„Das meiste ist alles andere als literarischer Schrott“, sagt Weskott, der die Druckwerke mit dem Lastwagen eines Katlenburger Getränkegroßhändlers abgeholt hat. Tatsächlich finden sich unter den gesicherten Büchern so unterschiedliche Titel wie Horst-Eberhard Richters Die hohe Kunst der Korruption, Stefan Heyms Stalin verläßt den Raum oder ein Reclam-Band mit ausgewählten Schriften des kürzlich heimgeholten Preußenkönigs Friedrich II. Auch Werke des nicaraguanischen Dichters Ernesto Cardenal, von Leo Tolstoi oder Heinrich Mann waren auf der Plottenberger Müllkippe gelandet, ebenso zahlreiche Kinder- und Bilderbücher, Landkarten und Unterrichtsmaterialien. Insgesamt, so schätzt Weskott, „lagern in Plottenberg wohl mehrere hunderttausend Bücher“. Der Müllplatz gehört einer Filiale der früher DDR-weit operierenden „Sekundärrohstofferfassung“ (SERO), die mit der Entsorgung von Gütern aller Art betraut war.

Publikationen ehemaliger DDR- Verlage, die inzwischen aufgelöst oder von westdeutschen Verlegern geschluckt wurden, seien heute nicht mehr gefragt, heißt es bei der SERO zur Begründung der massenhaften Literaturvernichtung. Weil sie in zu hoher Auflage gedruckt oder zu billig kalkuliert seien, würden viele Verlage ihre „Vor-Wende-Produktionen“ eben einfach wegschmeißen.

Die Pressesprecherin des Leipziger Reclam-Verlages, Frau Peter, machte gegenüber der taz den Ostbuchhandel für den Büchermord verantwortlich. Der sei jetzt privat organisiert und müsse „knallhart“ kalkulieren. Der Reclam-Verlag selbst jedenfalls habe kein einziges Buch nach Plottenberg gebracht. Größere Mengen „unverkäuflicher Titel“ seien allerdings verbilligt den Antiquariaten angeboten worden.

Pastor Weskott kann „gar nicht fassen“, was er in Plottenberg gesehen hat: „Das ist der Versuch einer Entrümpelung der Geschichte, einer Kultur. Der Versuch einer Entsorgung der Vergangenheit, in der am Ende der Schredder stehen soll.“ Die vor der Vernichtung bewahrten Bücher sollen nun bei Flohmärkten zugunsten von „Brot für die Welt“ verkauft oder Gemeindebüchereien in den Nachbarorten vermacht werden. Reimar Paul