Die dialogische Komposition

■ Eine Biographie über Eberhard Fechner, der in dieser Woche 65 Jahre alt wird

Lobreden über ihn gibt es viele. Als „Großmeister der TV-Dokumentation“, als einen der „subtilsten und ästhetisch raffiniertesten Fernsehregisseure Deutschlands“ hat die Presse ihn gewürdigt: den Filmemacher und Schauspieler Eberhard Fechner. Doch seine Literaturverfilmungen und Dokumentationen sind auch beim Publikum beliebt: Tadellöser & Wolff, der Majdanek-Prozeß und Nachrede auf Klara Heydebreck gehören zu den Klassikern der Fernsehunterhaltung. Das gilt auch für Fechners Film über die Comedian Harmonists, jene Gesangsgruppe, die sich Ende der zwanziger Jahre per Zeitungsinserat zusammenfand und später in ganz Europa gefeiert wurde. Bis zu den Nürnberger Rassegesetzen 1935: Die drei jüdischen Mitglieder erhielten Berufsverbot und mußten emigrieren; der nichtjüdische Teil der Gruppe blieb als „Meistersextett“ zusammen.

Für Fechners Erzählstil scheint kein Etikett zu passen. Dokumentation, Interviewfilm oder filmischer Essay? Von allem ein wenig und doch viel mehr. Besonders Fechners Zeitzeugen-Befragung und die komplexe Montagetechnik haben zum Nachdenken darüber angeregt, was seine Rekonstruktion deutscher Geschichte auszeichnet, welche ästhetischen Mittel ihr eigen sind.

Die Person Eberhard Fechner ist dabei meist im Hintergrund geblieben. Wie er zum Dokumentarfilm kam, welches Verständnis er vom Filmemachen hat, das versucht nun der Kölner Journalist Egon Netenjakob nachzuvollziehen. In einer Biographie des in Hamburg lebenden Regisseurs will der Autor die „offenliegenden und verborgenen Motive“ von Fechners Arbeitsweise ergründen. Netenjakob geht dabei strikt chronologisch vor: von den Kindheits- und Jugenderfahrungen der NS-Zeit im Schlesischen Liegnitz über die Mailänder Theaterarbeit bei Giorgio Strehler in den sechziger Jahren bis hin zum preisgekrönten Dokumentaristen.

Netenjakob hat mit Fechner eine Reihe von Gesprächen geführt. Teile daraus finden sich im Buch als Original-Zitate wieder, mal kommentiert, mal unkommentiert, ohne Zweifel ein Versuch, sich ans Faktische zu halten. Einen wirklich neuen Zugang zu Fechners filmischem Werk eröffnet Netenjakob damit nicht. Interessiert man sich für die Filme Fechners, dann sind wissenschaftliche Arbeiten allemal informativer. Ist man neugierig auf biographische Details, dann sollte man lieber nach Fechners eigenen Lebenserinnerungen greifen, statt sich aus zweiter Hand berichten zu lassen.

Netenjakobs Stärken liegen auf anderem Gebiet. Der Biograph zeigt, daß Fechner eine Synthese zwischen filmischer und literarischer Erzählweise entwickelt hat. Daraus sei eine höchst ungewöhnliche Form des dokumentarischen Fernsehspiels entstanden: filmische Biographien, in deren Mittelpunkt Menschen unterschiedlicher sozialer Schichten stehen: Proletarier (Selbstbedienung) und Großbürger (Klassenphoto), Aristokratinnen (Im Damenstift) ebenso wie Kleinbürger und Künstler. Dafür haben Fechner und seine künstlerische Mitarbeiterin Brigitte Kirsche Kilometer gefilmter Einzelinterviews in kleinste Aussagenteile zerlegt und anschließend mosaikartig neu aneinandergereiht. Durch die Wegnahme der Fragestellungen Fechners verschwindet der Modus des Interviews. Aus den ursprünglichen Frage-Antwort-Gesprächen zwischen Fechner und den Zeitzeugen wird ein gelenkter Dialog hergestellt, eine dialogische Komposition von Antworten, die für den Zuschauer nicht mehr als solche erkennbar sind. Der Eindruck entsteht, daß ein Sprecher auf den anderen eingeht, sich rückbezieht, verweist, korrigiert, widerspricht und ergänzt. Michael Marek

Egon Netenjakob: Eberhard Fechner. Lebensläufe dieses Jahrhunderts im Film. Biographie. Quadriga Verlag, Weinheim und Berlin, 243 Seiten, Abb., 44DM