Ein Handelszentrum für Berlin

■ Wettbewerb um das World Trade Center am »Klingelhöfer Dreieck« entschieden/ Berliner Büro Léon/Wohlhage schlägt ein typologisch interessantes Stück Berlin vor

Der südliche Tiergartenrand, auch als »Diplomatenviertel« bekannt, zeichnet sich immer noch in weiten Bereichen durch eine nicht vorhandene Planung, durch wabernde städtebauliche Situationen und durch zum Teil wiederhergestellte Botschaftsgebäude — als solitäre Stadthaus- Körper — aus. Die IBA der achtziger Jahre rückte einigen dieser neuralgischen Punkte zwischen Innenstadt- Rand und Tiergarten auf den Leib, so zum Beispiel mit der Bebauung des Gebietes nördlich der Rauchstraße.

Die Verlängerung der Rauchstraße über die Stülerstraße hinaus endet auf der Brachfläche von Kirmes, Zirkus und Co. — bekannt als »Klingelhöfer-Dreieck«. Für diese Fläche, die begrenzt wird durch den Landwehrkanal, die Klingelhöferstraße und eben die Stülerstraße, ist die Realisierung eines WORLD TRADE CENTERS BERLIN (WTC) vorgesehen. Zusätzlich sollen hier innerstädtischer Wohnungsbau und ein Hotel entstehen. Die zu bebauende Fläche von 34.000 qm soll ergänzt werden durch eine nördlich gelegene, etwa 8.400 qm große Fläche, für die ebenfalls eine Bebauungsstudie mit dem jetzt entschiedenen Wettbewerb für das WTC vorliegt.

Auslober dieses beschränkten, eingeladenen Wettbewerbes waren die Philipp Holzmann — Held & Francke Bauaktiengesellschaft, die Industrie- und Wohnbau Groth & Graalfs GmbH und das Land Berlin, vertreten durch die Senatsverwaltung für Bau- und Wohnungswesen. Von vornherein wurde der Wettbewerb als einstufiger Realisierungswettbewerb ausgeschrieben, was im besten Falle heißen würde, daß ein Wettbewerbsergebnis in Berlin auch einmal realisiert würde ohne alle Querelen, die immer durch Kompetenzstreitigkeiten und Einsprüche Dritter entstehen. Die städtebauliche und auch die architektonische Situation dieses Großbereiches, von der Urania angefangen bis hin zum Tiergarten, muß in seiner jetzigen Situation als chaotisch bezeichnet werden: In den sechziger und siebziger Jahren wurden hier die breiten, unfreundlichen Autoschneisen geschlagen, und zudem gab man den architektonischen Solitären den Vorrang, die aus wirtschaftlichem Interesse Büroflächen weggemetert haben, ohne an die Straßen-, geschweige denn an die Stadträume zu denken. Ein erstes Ordnungsmuster in diesen Brei zu bringen, oblag nun den elf an diesem Wettbewerb teilnehmenden Architekten.

Bei der Vorstellung der Ergebnisse auf der gestrigen Pressekonferenz wurde einmal mehr die Schwierigkeit eines Unterfangens deutlich, das auf die heterogene Bebauung eines dermaßen schwierigen Terrains abzielt. Ein WTC, ein Hotel und Wohnhäuser an einem Ort zu plazieren, der, wie es in Berlin immer so schön heißt »Identität« schaffen und auch noch allerlei ausgesprochene und unausgesprochene Bedürfnisse befriedigen soll, muß zu der dann angesprochenen »Quadratur des Kreises« führen: Herr Graalfs von der Industrie- und Wohnbau GmbH schien denn nun auch gar nicht zufrieden — was uns wiederum nur ein zufriedenes Lächeln entlockt.

Eingedenk der Taten- und Ideenlosigkeit der Berliner Architekturbüros, den Wettbewerb Potsdamer-/ Leipziger-Platz betreffend, können wir jetzt zufrieden die Qualität eines »Berliner« Entwurfes würdigen, der den ersten Platz errang: der von Hilde Léon und Konrad Wohlhage.

Ein Berliner Modell

Berliner Entwurf aber nicht nur im Sinne der Herkunft seiner Preisträger — sondern vor allem als »Modell« für Berlin. Die Preisträger haben mit außerordentlicher Sensibilität und städtebaulicher Raffinesse das vorhandene Bebauungsmuster des Gebietes aufgenommen, transformiert und somit das Thema Straße/Platz/ Block neu definiert. Die Berliner Bautradition mit der Blockrandbebauung und Dienstleistungs-Solitäre neuerer Zeit finden in diesem Entwurf ebenso ihre Berücksichtigung zur Korrektur des Stadtbildes, wie auch ihre architektonische Leistung trotz allem eigenständig originell bleibt. Städtebauliche Prämissen mögen neben dem vorgegebenen Programm die Blicke aus den verschiedenen Straßenfluchten gewesen sein bei dem Versuch, der vorhandenen Weiträumigkeit Halt zu geben und gleichzeitig ohne Monumentalität auszukommen. Dabei wird der Straßenrand zum Beispiel der Klingelhöferstraße zwar bebaut — aber mit Hilfe einer raffinierten Staffelung von drei unterschiedlichen Baukörpern: einer Zeile, einem Solitär und einem Blockrandkonzept. Der Rhythmus dieser Staffelung ermöglicht so jeweils auf den Innenbereich der Anlage verweisende kleine Platzsituationen.

In diesem Innenbereich selbst wird eine Art Campus geschaffen, der zum einen von dem eigentlichen WTC- Gebäude, zum anderen von der Eckbebauung Stülerstraße/Landwehrkanal gebildet wird. Der zwölf Meter hohe Durchblick, der durch diese Eckbebauung hindurch auf die Verlängerung Stüler-/Budapester Straße geboten wird, nimmt diesem Gebäude auch die auf den ersten Blick vermutete Verriegelung: dieser Campus lebt zur Stadt hin, läßt aber von außen doch den Eindruck zu, daß es sich hier um ein Ensemble handelt, das, wie es im Erläuterungsbericht heißt »ein Stück Stadt« symbolisiert, nein: dieses ist.

Der Platz wiederum hin zum Landwehrkanal läßt auch öffentliche Nutzung zu, ist nicht nur als Durchwegung und nicht nur für die Anlieger interessant — sondern er läßt auch zu, daß erstmals in der Innenstadt auch am Wasser so etwas wie »Stadtleben« stattfinden kann. Ruhe- und Verkehrsbereiche sind dabei so von einander geschieden, daß man getrost von einer einmaligen Chance sprechen kann, die Berliner Wasserwege als mehr wahrzunehmen und zu akzeptieren, als dies bisher der Fall war.

Der Mittelpunkt des WTC-Areals wird durch ein dreieckiges Gebäude bestimmt, von dem aus die umliegenden Büros (in den anderen Gebäuden) bedient werden. Wie hier, mittels kompakter unaufdringlicher Architektur, der »Handels-Stadt« ein Schnippchen geschlagen wird — das ist schon fein gelöst: kein Tower, kein vorlautes Architekturgeplapper — mithin: keine zwanghafte Neuerfindung rüden Entwerfergeistes.

Bleibt noch anzumerken, das der zweite Preis an das Londoner Büro Norman Forster & Associates ging — ein weiterer Preis wurde nicht vergeben. Berlin bekommt mit diesem neuen »Stück Stadt« vielleicht endlich etwas davon, was immer eingeklagt, aber bisher nicht realisiert wurde: eine neue Urbanität für Menschen, die in Berlin wohnen und arbeiten. Und das in einem Formenkleid, das wirklich einmal modern und nicht modisch ist. Martin Kieren