Gastkommentar

■ Weltbilder In jedem Engagement steckt Narzißmus, dessen Kränkung droht

Weltbilder In jedem Engagement steckt Narzißmus, dessen Kränkung droht

Eine Binsenweisheit: Jeder, der sich politisch engagiert, verfolgt dabei — abgesehen von „der Sache“ — immer auch ganz persönliche und narzißtische Interessen. Diesem Grundgestz menschlicher Motivation kann sich niemand entziehen, auch nicht Linke, Ausländerfreunde, Grüne, Autonome und andere gute Menschen. Letztere unterscheiden sich von den anderen Sterblichen nur dadurch, daß sie auf einen subtileren Gewinn aus sind: sei es informelle Macht, Anerkennung und moralische Autorität, Rache, schließlich der in Deutschland besonders ausgeprägte Trieb, recht zu haben, radikaler, konsequenter, kompromißloser zu sein als die anderen. Wie oft ist der Weltgeist, die geschichtliche Notwendigkeit, die „wahre“ Einsicht in die Sache angerufen worden, um eine narzistische Kränkung zu verdecken?

Seit dem Fall der Mauer hat der unerschütterliche Teil der Linken einige neue Kapitel zu dieser alten Geschichte beigetragen: sei es, daß man nach dem Machtwechsel in Nicaragua die Solidaritätsarbeit fast einstellte, sei es die Demo von zehntausend Westberliner Linken nach der Maueröffnung: „9. November — ein Salto rückwärts“. Bei ersterem stellt sich die Frage: Was war das entscheidende Movens der Unterstützungsarbeit? Ist eine notleidende Bevölkerung, die sich gegen das Weltbild ihrer Helfer entscheidet, nicht mehr unterstützungswürdig? Bei letzterem heißt die Übersetzung: Alles vorher — ob Honeckerdiktatur, Stasi- Spitzelwesen, die Mauer selbst — war besser als der Ausverkauf an Kohl. Klartext: All dies war besser zu ertragen als die unverschämte Kränkung unseres Weltbildes. Die Verteidigung der Ausländer durch die Inländer darf man getrost als die derzeit größte Herausforderung der zivilen Gesellschaft bezeichnen, als die eigentliche Bewährungsprobe der bisher kaum geprüften Demokratie in Deutschland. Die Zeichen dafür, daß diese Probe bestanden wird, stehen gar nicht schlecht. Unterhalb der demagogischen Asyldebatte bilden sich überall und quer durch die politischen Lager Bürgerinitiativen. Doch da ist auch der Streit in Berlin um die Demonstration(en) gegen Fremdenhaß am 9.11. Hier SPD und Grüne mit dem Motto: „Gegen Gewalt und Fremdenhaß“ — dort PDS, Neues Forum mit „Gegen Rassismus und Fremdenhaß“. Ich gebe zu, daß ich, obwohl ein Inländer, die Unterschiede, die zum Zerwürfnis führten, nicht verstehe, sei es Streit und die Rednerliste oder die Route. Werden wenigstens die Ausländer diese offenbar unüberwindlichen Gegensätze zwischen ihren Freunden begreifen?

Aber halt. Wahrscheinlich geht es ja gar nicht um die Ausländer. Sondern darum, welche Inländer von sich behaupten dürfen, ihnen gehe es wirklich und wahrhaftig um die Sache der Ausländer.

Peter Schneider

Der Autor lebt als Schriftsteller in Berlin