Panzer an die Fußball-Front

Die germanischen Athleten spielen im italienischen Sport eine plattwalzende Rolle  ■ Von Peter Freeman

Was den Fußball angeht, fühlen sich die Italiener schon immer ein gutes Stück erhaben über die Deutschen. Zwischen dem getanzten, gespielten, masturbierten Fußball der Südamerikaner und dem athletischen, machtvollen und etwas künstlichen Spiel der Deutschen repräsentieren die Italiener ihrer Meinung nach immer eine Art perfekter Synthese aus beiden Philosophien. Ein taktisch einwandfreier, schlauer, geradliniger, begabter und pragmatischer Football.

Das jedenfalls wurde uns seit eh und jeh von jenen wunderbaren Maitres a penser eingetrichtert, für die sich unsere großen Sportjournalisten halten. Italien ist ja wohl das einzige Land, in dem der Sportjournalist Geschichtsklitterung, Hermeneutik, Dramaturgie und Klatsch zusammenrühren darf, ohne mit Schimpf und Schande davongejagt zu werden.

In der Geschichte unserer fußballerischen Auseinandersetzungen mit Deutschland gibt es zwei Daten, die geradezu vor symbolischer Wertigkeit strotzen: das 4:3 im Semifinale der Weltmeisterschaft 1970 in Mexiko, und das 3:1 gewonnene Finale 1982 in Spanien. Im ersten Fall handelte es sich um eine Triumph des Zufalls; im zweiten um einen Erfolg, der komplizierteren Faktoren wie der physischen Form, der psychischen Kondition, dem momentanen Glück einzelner Spieler und, last but not least, der besseren Taktik im Spiel zu danken war. Jedenfalls haben diese beiden Erfolge das Stereotyp vom italienischen Fußball als höchster Konzentration taktischer Schlauheit gegenüber einem rein auf Kraft setzenden Spiel zementiert. Seither gilt der deutsche Spieler im Volksglauben nur mehr als Panzer, als Durchreißer und Frontenbrecher, jedoch absolut ohne irgendwelches taktisches Wissen.

Der italienische Sportjournalismus hat ohne Wenn und Aber auf dieses Stereotyp gesetzt und dabei kräftig Kriegserinnerungen mit einem gewissen antideutschen Ressentiment aus ganz anderen kutlurellen Wurzeln verrührt. Für einen Italiener ist der Sieg über Deutsche bei einem Fußballmatch noch immer eine der schönsten Befriedigungen, die einem das Leben schenken kann. Die Tatsache, daß die besten deutschen Spieler hierher nach Italien kommen, um aus dem zu lernen, was wir die „schönste Meisterschaft der Welt“ nennen — diese Tatsache bewirkt in uns das Gefühl unendlichen Reichtums.

Seit 1980 der italienische Fußball seine Grenzen wieder für ausländische Spieler geöffnet hat, sind gut fünfzehn deutsche Spieler ins Land gekommen. Fast alle Mitglieder von Meistermannschaften und vielmalige Nationalspieler. Für sie freilich war das nicht immer eine schöne Erfahrung. Herbert Neumann, der 1980 als erster kam, spielte nur knappe zwei Saisons in zwei mittelmäßigen Clubs, Udinese und Bologna. 1982 kaufte Inter Mailand Hansi Müller, aber dann fiel der Mannschaft ein, daß sie ja schon zwei gute Spieler für die Rolle Müllers besaß. Der Deutsche wurde immer wieder krank und saß bald im Abseits.

1984 bezahlte Inter eine immense Summe an Bayern München für Karl-Heinz Rummenigge. Doch während Bayern damals mit dem Haufen Geld eine überaus starke Mannschaft zusammenkaufte, fand Inter in Rummenigge einen zwar recht guten Spieler, der aber deutlich aufs Ende seiner Karriere zuging und ständig ausfiel. Zu diesem Zeitpunkt ging uns erstmals auf, daß die Trottel in der Partie wir waren, nicht die Deutschen, und daß es nicht reichte, einfach das Portemonnaie aufzumachen, um sich alle und alles zu kaufen.

Tatsächlich haben, alles in allem, die deutschen Spieler in Italiens Mannschaften eine gute Figur gemacht. Athletisch ohne Fehl und Tadel, in manchen Fällen — wie etwa Völler und Matthäus — regelrechte Dampfwalzen. Also nicht nur ein Einzelpanzer, sondern nun eine ganze Panzer-Division, wie das die nicht sonderlich einfallsreiche Phantasie der Sportjournalisten mittlerweile auszudrücken beliebt. Immerhin haben einige der Reporter inzwischen auch eine gewisse Abwechslung in der Benennung eingeführt. Rummenigge als „Große Berta“ — wohl nach dem schlappen Geschütz in Chaplins Der große Diktator, Hans Peter Briegel als „Kleiderschrank“, andere heißen „Panzerraupe“ oder „Sturmtruppen“.

Mit Argwohn werden sie sowieso alle angesehen. Denn das italienische Fußballambiente, selbst heuchlerisch wie kein anderes, kann nicht ertragen, daß ein Spieler nur des Geldes wegen oder um Ruhm einzuheimsen ins Land kommt. Als Lothar Matthäus vor einigen Monaten wissen ließ, daß er keine Lust mehr auf Inter und den dort herrschenden unerträglichen Leistungsdruck habe und sich ernsthaft die Annahme eines Angebots von Real Madrid überlege, wurde er sofort als skrupelloser Söldner und gar als Verräter denunziert. Das alles ist freilich nur die Fortsetzung der Metapher: vom Panzer zum Abenteurer, vom Söldner zum Landsknecht — vom Landsknecht zum Plünderer Roms.

Der Autor ist Kultur- und Sportredakteur von 'il manifesto‘ in Rom.