Haut-Couture

■ Verletzte mit Hautverbrennungen werden von Chirurgen oft zu spät in Spezialkliniken überwiesen/ Das Risiko der HIV-Infektionen durch verpflanzte Fremdhaut hat Hautbanken in Verruf gebracht

An Sprüchen wie „vor Scham erröten“, „in Angstschweiß baden“ oder „die glatte Haut des seelisch Ausgeglichenen“ wird deutlich, welche Rolle die Haut spielt. Ihre Verstümmelung kann zu sozialer Stigmatisierung, schlimmstenfalls zum Verlust der Identität führen. Die Haut ist daher das Organ, an dem die Spuren ärztlichen Scheiterns unmittelbar abgelesen werden können, während die Erfolge des plastischen Chirurgen oft gar nicht bemerkt werden.

Brandverletzte: falsch behandelt

In der Bundesrepublik gibt es zehn Verbrennungszentren, unter anderem in Hamburg, Berlin und Aachen. Während Schwerverletzte sofort in Spezialkliniken kommen, werden Brandverletzte mit Verbrennungen zweiten und dritten Grades oft erst dann in die Zentren überwiesen, wenn die Ärzte vor Ort mit ihrer Behandlungsmethode gescheitert sind. Viele Brandverletzte werden erst wochenlang falsch behandelt. Vor allem, wenn es sich um kleinflächige Verbrennungen handelt, glauben noch immer einige Chirurgen und Dermatologen, sie im Allgemeinkrankenhaus behandeln zu können. Doch nicht die Größe, sondern die Stelle der Brandwunde ist wichtig. Wenn Gesicht und Hände betroffen sind, sollten daher die Verletzten nach Ansicht von Experten unverzüglich in das Spezialzentrum überwiesen werden. Denn lebenslange zusätzliche Entstellungen können aus einer Fehlbehandlung resultieren.

Neben den immunologischen Folgen des schweren Schocks, der Gefahr von Komplikationen durch Organversagen und einer Allgemeininfektion, ist es die dringlichste Aufgabe von Chirurgen, die verbrannten Körperflächen schnell zu bedecken. Wenn möglich, werden Hautlappen von Oberschenkel oder Rücken zur Transplantation entnommen. Doch gerade in Fällen schwerster großflächiger Verbrennungen stehen keine unverletzten Areale mehr zur Verfügung; zudem würde eine Eigenhauttransplantation den Brandverletzten zusätzlich belasten.

Da menschliche Haut konserviert und vermehrt werden kann, galten bis vor wenigen Jahren Hautbanken als ultimo ratio in Fällen, bei denen nicht mehr genügend unverletzte Eigenhaut zur Verfügung stand. Den Hautbanken jedoch wiederfuhr inzwischen dasselbe Schicksal wie den Blut- und Knochenbanken: Das Risiko der HIV-Übertragung durch die verpflanzte Fremdhautpartie hat die Methode in Verruf gebracht.

Hautersatzpräparate helfen, die Zeit bis zum Nachwachsen gesunden Gewebes zu überbrücken. Der Hautersatz muß von ausreichender Festigkeit, dabei zugleich elastisch sein. Da der Hautersatz infektlabil ist, kann es allerdings bei geringsten Belastungen zu Entzündungen und Abstoßungsreaktionen kommen.

Schweinehaut: tierischer Ersatz für die Haut

Als Fremdtransplantat kann sogar Schweinehaut verwendet werden. Sie ähnelt der menschlichen Haut: Die Oberhaut ist relativ dick, die Behaarung gering, die unter der Haut befindliche Fettschicht gleicht dem Aufbau der menschlichen Haut. Auch mit synthetischem Hautersatz, mit resorbierenden Polymeren, die als Folien aufgetragen werden, kann es gelingen, die verbrannte Fläche abzudecken und die Wundheilung zu fördern. Auch die synthetische Hautoberfläche stimuliert das darunterliegende Körpergewebe zu neuem Wachstum. Voraussetzung dafür, daß sich die Wunde von beiden Seiten schließt, sind Epithelzellen, ein Deckgewebe, das keine Blutgefäße enthält, sondern aus mehreren Schichten eng aneinanderliegender Zellen besteht.

Weil Eigenhaut meist nicht ausreichend vorhanden ist, handelt es sich bei der Mehrheit der Transplantate um Mischhaut, bei der eigene und fremde Haut oder Hautersatz benutzt werden. Entscheidend für die Wundheilung ist, wie groß die Fremdhautanteile im Vergleich zu den Eigenhautpartien sind.

Chinesische Chirurgen entwickelten daher die „Mosaikmethode“. Mit ihr kann Haut gespart werden; zudem ist nachwachsende Haut elastischer, als man es von vernarbten Hautlappen gewohnt ist. Bei dieser sehr aufwendigen Mosaikmethode werden Fremd- und Eigenhautelemente schachbrettartig verpflanzt. Im Vergleich zur Verpflanzung eines einzigen größeren Hautlappens wächst die Fremdhaut hier besser mit. Denn durch die Mosaikmethode kann sich die wachstumsfördernde Wirkung der Eigenhaut auch dann entfalten, wenn nur sehr kleine Eigenhautanteile vorhanden sind. Eine Abstoßungsreaktion, die oft eintritt, wenn größere Fremdhautlappen verpflanzt werden, bleibt aus.

In Deutschland wird sich diese Methode vermutlich nicht durchsetzen, denn das Verfahren ist zeitaufwendig und angesichts des derzeitigen Pflegenotstands nicht zu bewältigen.

Auch die Euphorie unter den Chirurgen, nachdem es durch die Entwicklung der Immunsuppressiva (Medikamente, die Abstoßungsreaktionen von fremdem Gewebe unterdrücken) möglich war, stickstoff- konservierte Leichenhaut zu verwenden, ist längst abgeklungen: Sowohl durch frische als auch durch konservierte Haut gab es bereits Infektionen mit dem HIV-Virus.

Ziel der Chirurgen ist es, weitgehend normale Hautstrukturen wieder herzustellen. Der Erfolg der Verpflanzung wird aus diesem Grund daran gemessen, ob unterhalb des Transplantats Gewebe nachwächst. Gelingt die Transplantation, kann es nach einer Neubildung von Oberhautstrukturen sogar wieder zur Haarbildung kommen. Dies ist jedoch die Ausnahme, denn auf narbiger Haut wachsen keine Haare mehr.

Verstümmelte: ein Leben als Außenseiter

Das Ziel der Verbrennungschirurgen, einen Wundverschluß zu erreichen und den Patienten möglichst wenig zu entstellen, wird allerdings nur selten erreicht. Die oftmals bleibenden Veränderungen im Aussehen stellen für viele Brandverletzte eine erhebliche psychische und soziale Belastung dar. Neben den medizinischen Problemen, an deren Lösung Wissenschaftler arbeiten, werden vermutlich jene der sozialen Integration von schwerverletzten Patienten nach plastischen Operationen auch in Zukunft ungelöst bleiben.

Gesichtsentstellungen lösen Schrecken, mitunter sogar Ekel aus. Viele Verstümmelte wagen sich später nicht mehr in die Öffentlickeit, weil sie fürchten, wegen ihrer Entstellung aufzufallen und ausgegrenzt zu werden. Eine Befürchtung, die sich oft genug bestätigt, denn berufliche Chancen und Partnersuche sind abhängig von äußerlichen Faktoren wie Aussehen, Jugend und Reichtum. Auf den Betroffenen wartet nicht selten ein Leben als Außenseiter — eine seelische Belastung, unter der jeder zerbrechen kann, sofern er/ sie nicht durch eine Sebsthilfegruppe oder stabilisierende Partnerschaft aus der Isolation herausfindet.

Soziale Integration ist daher das wichtigste Anliegen der plastischen Chirurgen. Sie ahnen allerdings, welches Schicksal auf ihre Patienten wartet und vermuten, daß es in Fällen schwerster Entstellungen vielleicht besser wäre, den sterbenden Patienten zu begleiten, als ihn unter Aufbietung aller medizinischen Möglichkeiten am Leben zu erhalten.

Eine bedrückende Erkenntnis. Denn gerade auf dem Gebiet der plastischen Chirurgie wird deutlich, wie sehr die Definition von Lebensqualität durch gesellschaftliche Schönheitsnormen determiniert ist. Hanna Rheinz