Lustlose Lügen

■ Erzählungen von Robert Gernhardt

Robert Gernhardt hat „drei exemplarische Erzählungen“ geschrieben. Das behauptet zumindest der Untertitel zu Gernhardts neuem Buch. Mißtrauen ist jedoch angebracht. Einerseits sowieso und andererseits erst recht. Denn zum einen geht es hier um Robert Gernhardt, und zum anderen lautet der Titel des neuen Werkes Lug und Trug.

Vermutlich geht es also um das Spiel mit der Wahrheit und ihren vielen Gesichtern. Lustvolle Lügen sind zu erwarten und raffiniert eingefädelte Täuschungsmanöver. Vielleicht werden wir von Gernhardt ein paar einfache Wahrheiten über die schwierige Kunst des Lügens erfahren. Vielleicht wird es aber auch um die munter unüberwindlichen Komplikationen gehen, die sich immer gerade dann auftun, wenn man eigentlich nur ganz simpel die Wahrheit sagen möchte.

In der ersten Geschichte belügt ein Sohn seine Mutter. Das kann nicht klappen. In der zweiten belügen drei Busenfreundinnen einander. Das geht schon besser. In der dritten schließlich betrügt ein Mann sich selbst. Das funktioniert immer, wenn auch nicht für ewig. Aber merkwürdigerweise nimmt mit zunehmendem Erfolgsgrad des beschriebenen Betruges der Unterhaltungswert der Geschichten ab. Während wir dem Sohn, der einen Pornoschinken übersetzt und einen Roman zu schreiben vorgibt, noch einigermaßen geduldig folgen, lauschen wir den langatmigen Urlaubs- und Beziehungsgeschichten einer Kunsthistorikerin schon etwas ungehalten. Die Erlebnisse eines verspießerten Feuilletonredakteurs, der wegen seiner Potenzstörungen nach Indonesien fährt und dort mancherlei Unbill erlebt, schildert der Autor auf 126 Seiten. Im Grunde aber sind sie der Rede nicht wert. Gernhardt tut hier etwas, was nun sonst wirklich nicht seine Art ist: Er langweilt. Woran mag das liegen?

Die Antwort ist einfach, wenn auch im Falle Robert Gernhardts nicht leicht zu glauben: Es fehlt dem Autor schlicht an Raffinesse. Gernhardt, bekannt als pointensicherer Sprachartist, gehörte im komischen Fach zur überaus seltenen Spezies der leichtfüßigen Schwergewichte. Aber in seinen neuen Erzählungen präsentiert er sich als schwerfälliges Fliegengewicht.

Die Handlung der Geschichten ist banal. Das müßte noch kein Nachteil sein, denn gerade bei Gernhardt hat eine banale Handlung keineswegs notwendig eine banale Geschichte zur Folge. Wenn dies hier doch der Fall ist, liegt das vor allem an der Nachlässigkeit des Autors. Die Erzählungen sind schlecht gearbeitet, Halbwahrheiten haben wir erwartet, Halbfertiges setzt Gernhardt uns vor. Mit der Wahrheit kann er es so genau oder ungenau nehmen, wie er will. Mit der Sprache ist das eine andere Sache.

Das Dilemma beginnt mit den Protagonisten. Überwiegend sind sie langweilige Einfaltspinsel, die wenig erleben und viel darüber reden. Ein ohnehin krasses Mißverhältnis, das vollends verärgern muß, weil Gernhardt seine Figuren mit einer umständlichen, geradezu hölzernen Ausdrucksweise versehen hat. Um die Motorik der Helden ist es nicht viel besser bestellt als um ihre Sprache. Wenn Christian Pfeiffer, der Indonesienreisende, etwas aus seinem Portemonnaie nehmen will, was ja eigentlich nicht weiter schwierig sein kann, klingt das bei Gernhardt so: „,Hab's gleich‘, rief er beschwörend und fingerte rüttelnd in den Fächern der linken Hälfte.“ Das hört sich nicht gut an. Nicht für Pfeiffer und schon gar nicht für Gernhardt.

„Exemplarisch“ sind diese drei Erzählungen keinesfalls, wohl aber ist es der Untertitel. Denn gerade so wie im Untertitel verfährt der Autor auch im Buch: Er benennt, erläutert und etikettiert unablässig und in völlig überflüssiger Weise. Nehmen wir zum Beispiel sieben Zeilen auf Seite 237: Da wird erst ein Wasserhahn „hart“ aufgedreht, dann ein Hotelangestellter „streng“ angeblickt, dann wird „achselzuckend“ etwas erklärt, anschließend „traurig“ genickt und schließlich „zustimmend“ geseufzt. Wenn daraufhin auch der „geneigte“ Leser das Buch weglegt, darf der Autor sich nicht wundern.

Hubert Spiegel

Robert Gernhardt: Lug und Trug. Drei exemplarische Erzählungen . Haffmans Verlag, 287 Seiten, gebunden, 34 DM.