Schweinskopf und Haßkasse Von Philippe André

Es gibt große und kleine rassistische Ausdrucksformen. Die großen, spektakulären, wie die Angriffe auf Flüchtlingsheime, werden von den Medien in der Regel dankbar aufgegriffen. Und wo es gerade keine gibt, wird auch mal kräftig mitangepackt. Berliner Rias- und RTL-Leute waren dermaßen scharf, daß sie Skinheads mit Alk vollpumpten, filmten und dafür sorgten, daß diese auch ja ein Objekt ihres Hasses angingen.

Eine Tüte mit Hakenkreuzen, antisemitischen Beleidigungen und einem Schweinskopf, durch die kürzlich wiederholt das Mahnmal für die Deportation jüdischer Mitbürger in Berlin besudelt wurde, oder das Kaffeehaus am „Alex“, in dem man keine Ausländer bedienen wollte, interessieren dagegen schon weniger.

Doch die Verrohung der Sitten entsteht im Alltag, wächst schleichend wie eine Geisteskrankheit. Und das einzige Mittel dagegen ist der schnelle, unmißverständliche Einsatz der Menschen — so er denn stattfindet.

Dienstag bei Karstadt. Eine etwa 45jährige Verkäuferin „ordnet“ einen der Grabbeltische. Immer wieder. Es scheint eine ihrer Hauptbeschäftigungen zu sein. Sie wirkt frustriert, unglücklich. Gerade ist sie fertiggeworden, da nähert sich eine Kundin jenem Tisch mit verschnittenen Billigsweatern. Sie ist Ausländerin. Sri Lanka schätze ich, Indien vielleicht? Bedächtig, vorsichtig fast öffnet sie eines der ordentlich gefalteten Dinger, befühlt behutsam den Stoff, hebt das unförmige Ding ans Licht. „Das ist hier kein Grabbeltisch“, zischt es böse von der Kasse her. Die vordem Unglückliche hat nun stechenden Haß in den Augen. Wut steigt in mir hoch. Doch während Zorn mich noch lähmt, schreitet jemand in aller Gemütsruhe zur Tat. Wieder eine Frau. Um die sechzig ist sie, recht korpulent und mit einiger Sicherheit Kreuzbergerin. Das erkenne ich am unverwechselbaren Teint, der ebenso schäbigen Kleidung und der unbefangenen Art ihres Vorgehens. Nachdem sie ihre gigantische „Handtasche“ auf die Stoffe gehievt hat, quatscht sie ununterbrochen auf die Inderin ein, die offensichtlich nichts versteht, sondern nur fasziniert beobachtet, wie die Frau mit der brillanten „Schnauze“ Sweater um Sweater auseinanderwirbelt, achtlos fallenläßt und so in Minutenbruchteilen die deutsche „Wert“-Arbeit einer halben Stunde vernichtet. Ein Blick zur Kasse jagt mir Wonneschauer über den Rücken. Die Hassende ist kreideweiß geworden. Sie wirkt nun mehr wie ein abschreckendes Mahnmal. „Seehn Se“, schnarrt es plötzlich überlaut aus der Alten heraus, „nu' isset doch noch een Grabbeltisch jeworn“. Sie grinst zufrieden und dabei fügen sich ihre harschen Falten und Runzeln zu einem ganz neuen, sympathischen Gesicht. Mit einem Ruck hat sie ihre Tasche gepackt und watschelt zum nächsten Tisch. Die Haßkasse dampft vor Wut, ist aber beschäftigt: eine arabische Familie kennt sich hartnäckig mit den Größen nicht aus. Die Inderin steht noch da. Um ihre Lippen zieht sich der Hauch eines verschmitzten Lächelns. Sie hat vielleicht nichts verstanden, aber sofort begriffen.