Geburtstagsgeschichte

■ Oder: Wie es wieder einmal nicht geklappt hat/ Von Michael Briegel

Scheißtag heute!« Helmut stellt das vierte Bier vor mich hin. Ich hasse Helmut, hasse es, seine Bockwurstfinger ansehen zu müssen, wie sie ungelenk meinen Bierkonsum auf dem Pappdeckel vermerken. Bockwürste überall! Im Fernsehen über der Theke: Bockwurstfresser in Hamburg.

Feiern heißt Fressen, und heute feiern wir Geburtstag. Zum Glück wenig los hier, die meisten sind schon weg. Ich muß aufs Klo, schieb mich langsam hoch, an der Bar vorbei um die Ecke. Da bleibe ich plötzlich kleben.

Mensch, da sitzt 'n Mädchen, ganz schwarze Haut. Diese Arme, diese schmalen Arme und Handgelenke, die Finger erst, und der Hals so schlank, die Schultern beinahe eckig, und die Augen, dieses stille Glühen...

Ich geh pinkeln, wasch mir die Hände, mach an mein'n Haaren rum. Dann geh ich rüber zu ihr, stell mein Bier hin und frag: »Darf ich?« Sie nickt, und ich klemm mich auf'n Hocker. »Magst du was trinken?« frag ich. Sie: »Ja, Gin-Tonic.« Ich starr sie an, und mir fällt dabei was ein von der Wildheit afrikanischer Tiere. Ich sag's ihr, und sie lacht. Der Mund wird groß und noch schöner, wenn sie lacht.

Ich spüre gar kein Verlangen, mit ihr zu schlafen. Sonst war das immer zuerst da, und dann nichts mehr. Ich bin wahnsinnig aufgeregt, könnte sie immer nur ansehen, nicht mal reden bräuchte ich. Aber was reden muß man. Also sag ich: »Prost!« Und sie schaut mich an, daß mir ganz komisch wird. Wir reden bißchen. Ich erzähl von mir und von meiner Arbeit, die ich nicht mehr habe. Sie guckt richtig mitleidig. Es tut gut, aber ich sag ihr, daß ich Mitleid nicht ausstehen kann. Sie lacht, und ich denke jetzt doch daran, wie wunderbar weich ihre Haut sein muß.

Da knallt's hinter uns. Die Tür fliegt auf, und 'n paar Glatzen kommen rein. Sie fuchteln mit Knüppeln und grölen was von Deutschland. Sie suchen jemand. Zwei bleiben an der Tür, die anderne latschen durch die Gaststube.

Sie sind unentschlossen, offenbar finden sie nicht, was sie suchen. Einer räumt so im Vorbeigehen mit seinem Knüppel die Theke ab. Jemand murrt. »Schnauze!« brüllt die Glatze und drischt zur Bekräftigung seiner Rede eine Lampe kaputt.

Sie brauchen jetzt ein Opfer. Dann sehen sie uns. Im Spiegel der Barschränke sehe ich, wie sie langsam hinter uns näherkommen. Einer fragt: »Hat das Niggerweib heute auch was zum Feiern?«

Wir sagen nichts. Er holt aus und knallt dem Mädchen 'n Baseballschläger in die Rippen. Sie nimmt ihr Glas und schmeißt es ihm in die Fresse. Er blutet. Die anderen drehen jetzt durch. Einer zerrt das Mädchen an den Haaren von ihrem Sitz und schleudert sie auf den Boden. Sie kreischt und schlägt um sich, aber sie sind jetzt alle über ihr. Und ich komm nicht los von meinem Hocker, bin erstarrt vor Angst, meine Hände krampfen sich um die Messingstange an der Bar, ich zittere und schwitze, mir ist übel, aber ich komm nicht hoch. Sie sind mindestens sechs. Ich bin wie gelähmt.

Von der Tür ruft einer: »Los raus, die Bullen!« Die Glatzen türmen. Das Mädchen hinkt zur Tür, ohne sich umzusehen. Sie blutet an der Stirn.

Ich geh zum Klo und seh mein Blut im Spiegel, und ich muß kotzen, kotzen und flennen vor Wut und Scham und Angst. »Scheißtag heute«, denke ich.