Im Unendlichen Nirgendwo — Nieder mit dem PC

■ Am Anfang war der Füller und die Schreibmaschine/ Doch bald war das Mechanische out — und die Festplatte des Computers in/ Ein Zurück zur Schreibmaschine gab es nicht/ Denn nach nächtelangem Arbeiten und zig Zigarettenpäckcken bat auch der Comuter um Gnade: »Bitte speichern«

Die schriftliche Reise durch's Leben beginnt mit dem Füller und endet irgendwo im Cyberspace, wo man auch nichts Besseres zu tun hat, als in der wirklichen Welt. Am Anfang war der Füller und stolz färbte sich die Metallkappe nach Jahren der Benutzung in's Kupferne. Dann entschloß man sich jedoch mit der Schreibmaschine zum ernsthaften Schreiben. Gabriele stand auf dem Teppich, da saß jemand davor in der Sonne, Gabriele saß auf dem Schreibtisch. Gabriele machte viel Krach, während sie sich bemühte, im Ausdruck Herz und Kopf zufriedenzustellen.

Asche auf ihr Haupt

In die Maschine konnte man hineinaschen. So war auch das nikotinsüchtige Hirn zufrieden. Vor ein paar Jahren dann klopfte der Personal Computer (PC) an die Tür und stellte die Schreibmaschine in die Ecke, nicht ohne ihr noch ein paar nette Worte wegen ihres etwas anachronistischen Gorlebenaufklebers gesagt zu haben. Der Computer erklärte, er sei nichts anderes, als eine bessere Schreibmaschine, eine wunderbare Schreibmaschine, in der sich alles noch viel besser versammeln könne, was man sich ausdachte und erfuhr. Der Computer nannte Preis — 3000,— DM und Lieferfristen und würde gleich wiederkommen. Man antwortete zustimmend. Denn die Zettel und die Bücher, die Schreibmaschinenblätter im Irgendwo des Zimmers, wurden zwar in Jahren oder Monaten, an Abenden oder im Sonnenschein existenzieller Nöte und Freuden gefüllt und gesammelt und konnten beim Wiederlesen zuweilen ein Gefühl von erfüllter Zeit oder immer gleichem Zeitverlust zu vermitteln. Meist verloren sie sich aber doch in's Überflüssig-Schöne und sollten sich ja eigentlich auch tagtäglich verlieren, der Eitelkeit des Schreibens entgegenzuwirken. Die Ordnung der öffentlich rechtlich bezahlten Fernsehliteraten im Cafe Einstein z.B., die vor den Kameras Literatur lasen und mit sauberen Fingern ihre blütenreinen Manuskripte aus Klarsichtfolien klaubten, als wär es sonst was, während ihr nichtssagender Name auf dem Bildschirm zu beeindrucken suchte, schien so widerwärtig dumm, narzistisch, gekünstelt, bescheuert, so unerträglich, daß man sich sehnlichst eine Zeitlang gewünscht hatte, nur noch für den Papierkorb zu schreiben.

Der Computer verstand das alles und schien eine wunderbare Lösung zu sein zwischen Projekten depressiver Verausgabung, also der Vernichtung des Geschriebenen, und einer letztlich nicht weniger unangenehmen Sammlung des Vergangenen, die einen beim Wiederlesen regelmäßig nur zur Identifikation mit sich selbst verführte und auf dies oder das festlegte.

Die Worte verschwanden in der Unendlichkeit...

Der Wunsch nach dem Computer entstand beim Blick auf den Bildschirm. Im Computer des Freundes schien sich alles im Nichts zu sammeln, die Worte verschwanden in der Unendlichkeit des Bildschirms, so schien es. Unbegreiflich ist das interesselose Fassungsvermögen des Computers. Einen Papierkorb hat er auch. Die Worte und grazilen Sätze, universitäre Arbeit womöglich, die da kommen sollte, ließ zunächst aber »Larry« den Vortritt und die Betrachtung, die eigentlich dem Spiel folgen sollte, war nicht freundlich, sondern böse und gereizt, denn das Spiel förderte nur die Lust an der Sucht nach Larry-Lackaffe, die man sich zwei Wochen lang zumindest gestatten wollte.

Das Adventuregame

»Larry« schenkte mir ein Freund gleich zur Einweihung des Computers. »Larry« ist ein idiotisches Adventuregame; ein Computerspiel, daß in erster Linie Männer wochenlang von wichtigen Tätigkeiten abhält. Natürlich fesselte »Larry«, wie später »Space Quest I,II und III« fesselten und Wichtigeres währenddessen unberücksichtigt blieb und nur mündlich erörtert wurde. Oder in einem Kopf beschimpften sich ein paar Pappkameraden. Die Dateien schlummerten währenddessen im unendlichen Raum des Computers vor sich hin, um manchmal nur geöffnet zu werden.

Es war allerdings anfangs auch ein bißchen deprimierend: denn wo die Schreibmaschine laut noch klackerte und dem Hinterhof, der ganzen Welt und einem selbst beweisen konnte, daß man dachte oder arbeitete, hört man vom Computer immer nur das sonore Summen des Ventilators und manchmal, beim Speichern, scharrt die Festplatte beleidigend vor sich hin. Ein Zurück zur liebenswerten Schreibmaschine gab allerdings es nicht. Nicht weniger illusorisch wie das langgehegte Projekt der wirklich letzten Zigarette, schien der Versuch, sich des PC's und seinen perversen Reizen zu entwöhnen. Wie zum Hohn erschien das ehemals vertraute Rattern und Klackern der Schreibmaschine bei schüchternen Versuchen sogar plötzlich fremd und feindlich.

Der Computer schlägt zurück

Während man traurig war, daß die Schreibmaschine einen nicht mehr mochte, nahm man die Feindschaft, die einem der Computer entbot, gerne an. Ein Triumphgefühl ohnegleichen empfand man, wenn nach nächtelangem Arbeiten und einigen Zigarettenpäckchen der Computer schlapp machte und sich geschlagen gab und nur noch um Gnade bat: »Bitte speichern.« Der Computer schlug schleichend zurück: nach drei Jahren konnte ich meine Augen eigentlich wegschmeißen. Ich bekam keine Neuen, sondern der Computer bekam eine verpaßt. Das zweite Laufwerk wurde aufgebrochen; mit einer Niere läßt sich's auch gut leben und mit einem Messer im Rücken gehn wir noch lang nicht nach Hause. Später vertrugen wir uns wieder. Notdürftig wurde das Laufwerk mit Hansa-Plast verarztet.

Verwundet und monogam, etwas mürrisch zwar, wartet man zusammen auf die Restteilverwertung in Bernau. Der alte Computer, der anfangs noch mit seiner Kommunikationslust und Kompatibilität geprahlt hatte, verweigert inzwischen nicht nur starrsinnig die Annahme fremder Disketten, sondern lehnt es immer öfter auch ab, im eigenen Laufwerk welche zu beschreiben. Hinfällig geworden stürzt er zuweilen. Und zu Beginn jeder Arbeit befallen ihn regelmäßig trostlose Morgendepressionen. Gerade noch das Datum und die Uhrzeit mag er wissen, danach verweigert er zumindest eine Stunde lang jede Zusammenarbeit. Selbst der fleißige »Norton Disc Doctor« kann da nicht helfen. Detlef Kuhlbrodt

»Später kamen die Freunde, heiter erschöpft, manche gingen Hand in Hand, und dann winken wir einander zu zum Abschied.« Erst »wenn die Mittage glühen, die Nachmittage endlos sind, die Abende Sehnsucht, und die Nächte ein Riß nur zwischen Tag und Tag, zwischen letztem und erstem Licht, wenn die Zeit still steht im Sommer, und alles bricht, im Freien, ist die Zeit für Aufstand, Revolution und Sturm.« (Rainald Goetz)

Sybill Klotz Foto: Aris Papadoupolos/Phönix

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