Ernster albanischer Alltag in Fotografien

■ Ein Fotolesebuch und eine Ausstellung zeigen ein fremdes Land

Manchmal nimmt man ganz unbedarft und eher zufällig in die Hand, was sich auf dem Schreibtisch an gewichtiger und ungewichtiger Post angesammelt hat. Und nicht unoft landet das eine oder andere da subito in der Ablage P — wie Papierkorb. Dieses mal war es aber ein ganzes Konvolut von mit Fotos bedrucktem starkem Papier — die unbeschnittenen Bögen eines jetzt erschienenen Buches: Albanien, hrsg. von Stefan Orendt und Giuseppe de Sati, BasisDruck Verlag Berlin, 168 Seiten, 108 sw. Abb., DM 52. Dieses Buch hat es in sich — und es hat sich eben anders ergeben wie oben beschrieben. Ich habe das Buch, das Unfertige, seit Mitte Dezember auf dem Schreibtisch liegen und bin fast täglich geneigt, um nicht zu sagen: gezwungen, in dem Stapel von Fotos zu lesen: in den Gesichtern der Kinder, Frauen und Männer, auf den Fassaden, in den Landschaften, im Himmel. So intensiv und unter Spannung habe ich selten in Fotobüchern geblättert. Der potentiellen Geschichten und Schicksale sind so viele und vielfältige, das ich das Buch allen empfehlen kann, die ein anderes Land vorläufig eben nur aus solchen Büchern kennenlernen können: durch intensives Hinsehen, durch Innehalten und Nachdenken. Ob das ausreicht, vermag ich nicht zu sagen. Aber es ändert unbedingt die Haltung zu fremden Menschen und zu einem Land, das unserer Generation seit Jahrzehnten als Reiseland verschlossen ist und von dem uns die Älteren auch nichts erzählten, weil es sie — warum auch immer — nicht interessierte.

Parallel zum Erscheinen dieses Buches veranstaltet der Verlag im Werkbund-Archiv im Martin-Gropius-Bau eine Ausstellung eben dieser Fotos. Der Verlag schreibt dazu: »Der heute 86jährige Hamburger Pressefotograf Erich Andres durchstreift 1931/32 das Land, in dem der Militärdiktator Ahmet Zogu herrscht, seit 1928 selbsternannter ‘König der Albaner‚. Der Slowake Karol Kallay lebt in Bratislava. Kallay, international bekannter Modefotograf, arbeitet u.a. für das Hamburger Magazin 'Geo‘. Er fotografiert 1957 das Albanien Enver Hodschas: seinen sozialistischen Aufbau in Industrie und Landwirtschaft; seine Alphabetisierungskampagne. Wolfgang Krolow, in Berlin- Kreuzberg lebender Fotograf, erhält sein Einreisevisum erst 1990, in den letzten Tagen des alten Regimes, kurz bevor die ergreifenden Bilder der Botschaftsbesetzungen in Tirana um die Welt gehen. Krolow reist in Begleitung von Giuseppe de Sati, dem deutschen Verleger (Neuer Musik Verlag) des bekanntesten albanischen Schriftstellers Ismail Kadare. Die Ausstellung zeigt je 40 Schwarzweißfotos von Andres, Kallay, Krolow und 15 Farbfotos. Jeweils 1931, 1957, 1990 entstanden, erlauben die Bilder einen letzten Blick auf Stagnation und Bewegung im Alltagsleben eines Landes, das — lange isoliert und daher nahezu unbekannt — heute einer ungewissen zukunft entgegensieht.« Martin Kieren

Alltag in Albanien — Eine Fotoausstellung mit Bildern von Erich Andres, 1931, Karol Kallay, 1957, Wolfgang Krolow, 1990. Werkbund-Archiv Berlin im Martin- Gropius-Bau, 2.OG., bis 2. Februar, Di-So, 10-22 Uhr.