Kohl al Genscher: „Mi lernas Esperanton“

Esperanto — gekünstelte Verständigungsform für Sprachen-Freaks oder neutrales Kommunikationsmedium der Eurokraten?  ■ Von Agnes Steinbauer

Ist Esperanto eine gekünstelte Verständigungsform für ein paar versprengte Sprach-Desperados oder ein Dorado für kontaktfreudige Lebenskünstler? Die Esperantisten — die „Hoffenden“ — schwören auf Horizonterweiterung mit Hilfe ihrer Kunstsprache. Im „Europäischen Haus“ soll sie nun endlich aus ihrem 105jährigen Dornröschenschlaf erwachen.

„Uno bovlo de tiu ci Eliksiro donos al vi la necesan forton por atingi Lutecion.“ Sogar Mirakulix, der gallische Druide, kann Esperanto. Eine Kelle von diesem „Elexir“, wie er seinen Zaubertrank in einem Asterix-Band anpreist, „wird dir die nötige Kraft geben, um Lutetia zu erreichen“. Eine Sprachleistung, die laut Geschäftsführer der Esperanto-Jugend in Deutschland, Marko Lins, jeder Normalbegabte nach einem sechsmonatigen Crash-Kurs locker schaffen kann — und zwar ohne Zaubertrank. Aus Esperantensicht ist die 1887 von dem jüdisch-polnischen Augenarzt Ludwig Zamenhof in Warschau entwickelte Kunstsprache „die leichteste Sprache der Welt“. Sie funktioniert nach dem Baukastensystem von Vor- und Nachsilben. Zum Beispiel bedeutet „bela“ schön, „malbela“ häßlich. Auf diese Weise kann der Esperantist die rund 800 Grundwortstämme ohne Probleme auf 8.000 Wörter erweitern. Die dazugehörigen 16 Grammatikregeln passen, so Lins, auf eine winzige Visitenkarte. Und die Betonung? Sie ist immer auf der vorletzten Silbe.

Grund genug, um sich sofort zum Esperanto-Kurs anzumelden? Engagierten Esperantisten fallen noch mehr Vorteile ein. Thomas Pusch, der Bundesvorsitzende der Esperanto-Jugend, behauptet zum Beispiel, daß sich keine andere Sprache besser zum Flirten eignet. Grund dafür ist ohne Zweifel die explosive Mischung aus romantischem Romanisch (70 Prozent), kühlem Germanisch (20 Prozent) und tiefschürfendem Slawisch (10 Prozent), aus der die Sprache zusammengesetzt wurde. Aber auch darauf, daß eine neutrale Verständigung zwischen den Völkern mit Esperanto besser klappt, schwören die weltweit auf drei bis 16 Millionen geschätzten Esperantisten. Getreu ihres obersten Sprachkünstlers Zamenhof, der — durch die Feindseligkeit von Juden, Russen, Polen, Deutschen und Litauern im zaristischen Heimatort Bialystok geschädigt — mit seiner neuen Sprache den Anfeindungen eine Ende machen wollte, werden Esperanto-Könner überall auf der Welt von Gleichgesinnten freundlich aufgenommen. Dabei helfen umfangreiche Adressenlisten. Auf diese Weise kann sich der globetrottende Holländer etwa sofort mit Arabern oder Japanern verständigen, ohne sich jahrzehntelang durch fremdartige Schriftzeichen quälen zu müssen.

Macht Esperanto sprachfaul? „Nein“, meint Marko Lins. Es sei sogar „absoluter Unsinn“, nur Esperanto zu lernen. Der Halbjapaner spricht neben Japanisch und Deutsch als Mutter- und Vatersprache Latein, Französisch, Englisch und „selbstverständlich Esperanto“, das ihn „nicht taub“ für andere Sprachen gemacht, sondern „inspiriert“ habe, jetzt noch Italienisch zu lernen. Esperanto, das vor allem in osteuropäischen Ländern verbreitet ist, dient auch laut Richard von Weizsäcker „der besseren Verständigung von Völkern“. Wie der Bundespräsident in einem Grußwort zum hundersten Geburtstag von Esperanto schrieb, „sind die Zeiten, da man Esperantisten für eine kleine Gruppe weltfremder Sprachidealisten hielt, vorbei“. Esperanto sei, so Weizsäcker, „in der Lage, die Rolle einer internationalen Sprache zu übernehmen“. Im kommenden „Europäischen Haus“ sehen die Esperantisten ihre Chance. „Beim Sprachenstreit eine gewachsene europäische Sprache vorzuziehen“, so Lins, „bedeutet die Benachteiligung der anderen Völker.“ Esperanto biete sich daher als neutrale Lösung an: als Verständigungsmittel für wirtschaftliche und kulturelle Beziehungen in Europa wie auch als Kommunikationsmedium im Europaparlament. Bis jetzt ist der Durchbruch allerdings ausgeblieben.

Vereinzelte Rufe, von Europa- Grünen etwa, nach Esperanto als fairem Verständigungsmittel haben noch keinen Anklang gefunden. Immerhin: Das Schicksal anderer Kunstsprachen wie Volatük, Novial oder Ido, die nie nennenswerte Beachtung erfuhren, ist der Zamenhofschen Sprachschöpfung erspart geblieben. Auch das in den letzten Jahren gestiegene Interesse — bei der Esperanto-Jugend gehen 200 Anfragen pro Jahr ein — geben den Esperantisten Grund zur Hoffnung, aber auch Anlaß zum Lachen; etwa über einen Witz, der die geographischen Kenntnisse von Bundeskanzler Kohl illustrieren soll: „Kohl al Genscher: Mi lernas Esperanton por viziti la landon, car mi neniam antaue estis tie!“

Kohl zu Genscher: „Ich lerne Esperanto, damit ich das Land mal besuchen kann, weil ich noch nie da war.“

Die Autorin ist freie Journalistin in Bonn.