Pawlowscher Reflex

■ betr.: "Krach bei den Grünen in Kassel", "Grüne Beziehungskiste in Hessen", taz vom 18.2.92

betr.: „Krach bei den Grünen in Kassel“, „Grüne Beziehungskiste in Hesen“, taz vom 18.2.92

Immer, wenn der taz-Hessen-Redakteur Kpk „Kassel“ hört, pawlowt es bei ihm „Hessisch Sibirien“. Im Laufe der Jahre sicherlich schon zwanzigmal. Weiter reicht es offenbar nicht. Oder: für die taz-Leser reicht es so.

Die Bezeichnung ist jedesmal wieder herabwürdigend, vom Standpunkt des Überlegenen aus geschrieben. Arroganz paart sich häufig mit Dummheit — auch hier. Historisch war Kassel über Jahrhunderte kulturell für Europa attraktive Residenzstadt. Der größte (barocke) Bergpark Europas mit dem Herkules, zahlreiche einzigartige Museen und Kunstsammlungen sind Zeugnisse dieser Vergangenheit. Heute setzt sich die kulturelle Tradition mit der documenta fort, der weltweit bedeutendsten Kunstausstellung, zu der in diesem Sommer eine halbe Million Gäste erwartet werden. Dann wird beim Eröffnungsbericht von Kpk wieder der Speichel zusammenlaufen und gleichzeitig aufblitzen „Hessisch Sibirien“ — was soll sonst schon kommen. Wieland Gieber, West-Berlin