Schweden: Streik gegen Rassismus

Eine Stunde lang wollen ImmigrantInnen heute zeigen, was alles ohne sie stillsteht/ Protest gegen Attentatswelle  ■ Aus Stockholm Luise Steinberger

In Schweden haben die Immigranten die Nase voll. Ab zehn Uhr stehen heute für eine Stunde die Räder still. Nachdem in den letzten Monaten eine Welle der Fremdenfeindlichkeit über Schweden schwappte, wollen Einwanderer mit dem Streik zeigen, daß ohne sie nicht viel läuft.

Im Großraum Stockholm werden alle U-Bahnen und Busse stillstehen. Die 11.500 Angestellten des Verkehrsverbundes wollen zeigen, daß sie eine Gesellschaft wollen, in der Menschen verschiedener Herkunft und Kultur zusammenleben. 25 Prozent der Fahrer der öffentlichen Verkehrsmittel in der schwedischen Hauptstadt sind Einwanderer. Seit Wochen haben Ausländergruppen die Aktionen geplant. An manchen Arbeitsplätzen wird völlige Ruhe herrschen, andere begnügen sich mit einer Schweigeminute, vielerorts beteiligten sich auch schwedische Kollegen. Die Kirchenglocken läuten. Schwedens Schulkinder werden über Ausländerfeindlichkeit diskutieren.

Daß die Einwanderer jetzt auf die Straße gehen, ist Ergebnis einer langen Entwicklung. In den letzten Zwei Jahren machten immer öfter Gruppen wie die „Nordische Reichspartei“ oder der „Weiße arische Widerstand“ von sich reden. Mehr als fünfzig offen oder versteckt rassistische Angriffe wurden 1990 und 1991 in Schweden verübt. Und die Tendenz geht hin zu immer brutalerer Gewalt. Allein seit Oktober 1991 wurden auf Stockholms Straßen elf Menschen niedergeschossen — dabei zielten die Täter ihren Opfern immer genau ins Gesicht. Ein 24jähriger iranischer Student starb an seinen Verletzungen, die anderen sind teilweise schwer verletzt. Die Opfer haben nur eines gemeinsam: Sie sind dunkelhaarig, dunkelhäutig und dunkeläugig.

Die schwedische Polizei will die ausländerfeindlichen Motive der Verbrechen nicht wahrhaben. Man spricht von einem Verrückten und psychisch Kranken, der an traumatischem Haß leidet. Auch die schwedische Regierung verhält sich defensiv. So dauerte es mehrere Wochen, bis der konservative Ministerpräsident Carl Bildt der Forderung von Einwandererorganisationen schließlich nachgab und in einer Fernsehansprache die Attentate verurteilte.

Für die heutigen Aktionen hat sich dennoch so etwas wie eine nationale Einheit gefunden. Sämtliche Parlamentsparteien außer der rechtsradikalen „Neuen Demokratie“ unterstützen den Streik. Viele Firmen und der öffentliche Dienst unterstützen den Streik — die Löhne sollen nicht gekürzt werden, manche Fabriken machen gleich ganz dicht.