KOMMENTARE
: Berufene und Unberufene

■ Das „Forum der Aufklärung und Erneuerung“ setzt auf das Pathos der Bibelstunde

Die Aktivisten der friedlichen Revolution von 1989 marschierten im Kreis — sie kamen, sahen, siegten. Blütenträume schossen aus der DDR-Finsternis, eine neue Verfassung wurde geschmiedet — monatelang sollte die DDR gerettet werden. Doch dann folgte das fröstelnd-frustige Erwachen auf dem harten Parkett bundesdeutscher Realpolitik. Langsam dämmerte den Helden des Herbstes, daß es mit der anfänglich verteidigten besonderen DDR-Identität nicht weit her ist. Was tun? Die Antwort ist jedem ordentlichen Deutschen geläufig: Man versammle sich und gründe einen „eingetragenen Verein“.

Der neueste deutsche e.V. wurde am Wochenende in Leipzig aus der Taufe gehoben und hört auf den etwas hochtrabenden Namen „Forum der Aufklärung und Erneuerung“. Der Gründung war, versteht sich, ein Gründungsaufruf vorausgegangen — unterzeichnet von Ullmann, Schorlemmer, Thierse und Gauck. Überschrift: „Tribunale als Foren der Aufklärung.“ Das erste „Tribunal“ steht ins Haus — „noch vor der Sommerpause!“

Das Unternehmen wird scheitern. Es ist von verlogenem protestantischen Ernst getragen, von der Biederkeit des „Aufarbeitens“. Es ist der Versuch, etwas zu bewältigen, was nicht zu bewältigen ist — eine elegantere Form des Schlußstrichs. Die selbsternannten Ankläger stellen sich auf die bessere Seite der Geschichte, sind schon heute für den nächsten Theodor-Heuss-Preis im Gespräch. Sie suchen nach schnellen Erklärungen, wo nur lang anhaltender Schmerz hilft und verändert. Der Leipziger Verein will die „Opfer und Täter in eine erneuerte Gemeinschaft treten“ lassen, kapriziert sich auf das „tyrannische Vorgehen der SED“ (Ullmann), wo zu allererst von der sado-masochistischen Lust der Deutschen an der Tyrannei, von der Differenz zwischen Opfern und Tätern die Rede sein müßte. „Sachlichkeit“ wird gefordert, wo es um ein Purgatorium Danteschen Ausmaßes geht, um Emotionen und Verletzungen, um Sarkasmus, Humor und Aufschrei — Themen für Tragödien und Romane, für Filme, Autobiographien, Dokumentationen; Thema eines vielfältigen, nicht immer gerechten demokratischen Streits. Dieser Streit ist zur Zeit in Gang, und für deutsche Verhältnisse so schlecht nicht.

Mit dem frömmelnden Pathos aus dem Wörterbuch der Bibelstunde unterschied man in Leipzig zwischen „Berufenen“ und „Unberufenen“, ernannte sich selbst zur kleinen verschworenen Elite der ganz besonders Berufenen. Man marschierte nicht, maß saß in einem Kreis, der immer enger wird. Götz Aly