„Zeigen, daß man auch in Bitterfeld die Kurve kriegen kann"

■ Fred Walkow, Leiter des Bitterfelder Kreis-Umweltamtes — ein Pragmatiker im Einsatz gegen die giftigen Hinterlassenschaften

Fred Walkows größter Schatz liegt auf dem Fußboden seines Büros und versperrt den Weg zum Schrank. Es sind Karten über alle Altlastenverdachtsflächen im Kreis Bitterfeld im Maßstab 1:10.000. Wenn an einem Donnerstagmorgen eine Kollegin aus dem Städtchen Muldenstein wissen will, ob die Fußballer in ihrer Gemeinde auf Gift kicken, dann sagt Fred Walkow: „Halten Sie mal“, drückt der Besucherin den grauen Pappdeckel seiner Sammlung in die Hand und rutscht auf dem Fußboden herum, um das entsprechende Blatt hervorzuziehen. Demnächst hat er dafür einen Computer.

In einem Gebiet, wo jeder Schritt ein Schritt auf die Altlast und damit ein teurer Schritt werden kann, sind Informationen, wie der Amtsleiter sie hütet, von nicht geringem Wert. Untersucht werden muß trotzdem, aber „mit diesen Karten können wir erstmal arbeiten“, sagt Walkow mit der Erleichterung eines Menschen, der nach einem Flugzeugabsturz im Dschungel unverhofft den Piloten mit dem Kompaß wiedertrifft. Untersuchungen der Böden im Bitterfelder Kreisgebiet haben ergeben, daß 30 Prozent der gesamten Fläche belastet ist: 136,2 Quadratkilometer verseuchtes Land. Der Pragmatiker Walkow formuliert das so: „Um 70 Prozent brauchen wir uns vorerst nicht zu kümmern!“

Fred Walkow trägt Schwarz. Seine Jeans hat der nicht eben hochaufgeschossene Mann unter dem Bauchansatz festgezurrt. „Wessis“, spottet er, „sind sowieso grundsätzlich fünf Zentimeter größer als wir Ossis“. Walkow ist im Dorf Morl nordwestlich von Halle geboren, mit dem Dreck der DDR-Chemie aufgewachsen und dabei geblieben. Als Diplom-Chemiker arbeitete er zunächst in Buna, hielt es dort aber „wegen des schrecklichen politischen Klimas“ nicht lange aus und flüchtete in die Forschungsabteilung des VEB Filmfabrik Wolfen. In seinem Büro-Schrank verwahrt Walkow ein Apotheken-Fläschchen mit leuchtend orangenem Farbstoff. Er schüttet etwas von dem Pulver auf ein Blatt Papier: „Schön nicht? Da hat die Chemie noch Spaß gemacht. Nicht so wie jetzt, wo man ständig schmierige Öle untersuchen muß oder ölige Schmiere.“

Sagt's und läßt keinen Zweifel daran, daß er sich den „schmierigen Ölen“ längst ganz verschrieben hat. Er will „zeigen, daß man“ auch in einer der dreckigsten Gegenden Deutschlands „die Kurve kriegen kann“. „Im Westen wäre ich nie Amtsleiter geworden. Ich bin kein Verwaltungshengst“, und, fügt er hinzu, „ein Wende-Held bin ich auch nicht“.

Aber er ist ein selbstbewußter Ossi, er spricht ostdeutsch, gelegentlich rutscht ihm noch „Karl-Marx- Stadt“ heraus, oder er blödelt, angesichts unvollständiger Unterlagen: „Das ist wohl die stark gekürzte Volksausgabe.“ Das „Kaderwelsch“ jedoch haßt der nach wie vor parteilose Mann genauso wie das aalglatte Idiom des Westens. „Luft entschwefeln — Politik entschwafeln“ steht auf des Amtsleiters Tür — ein Aufkleber des gebürtigen Bitterfelders Klaus Staeck.

Walkow hat die Angewohnheit, Wörter wie „wasserrechtlicher Vollzug“ ironisch zu zerdehnen. Er ist zuständig für den „wasserrechtlichen Vollzug“. Das heißt, er müßte an allen Abflußrohren im Bitterfelder Landkreis kontrollieren, was rauskommt, er müßte allen BürgerInnen sauberes Trinkwasser garantieren können. Das kann er nicht. Das Grundwasser unter den Chemiebetrieben ist bis in 70 Meter Tiefe vergiftet. Walkows Amt ist außerdem zuständig für Abfall und Altlasten. Altlasten ist auch so ein Wort, das der Chemiker der ironischen Dehnung unterwirft. Um genaues über Altlasten in Boden und Gewässern zu erfahren, muß sein Amt mit „den politischen Altlasten“ zusammenarbeiten, den „roten Socken“ in den einst mächtigen Chemiekombinaten. „Sie sind nun mal die Fachleute.“

Die erste Bitterfelder Umweltkonferenz war maßgeblich Walkows Idee. Er wollte etwas dagegen tun, daß alle Welt Ostdeutschland mit dem Silbersee verwechselt. Er wollte Daten statt Düsternis für die Menschen, die, wie er, auch weiterhin zwischen Bitterfeld und Wolfen leben werden. Von weitem sieht man nicht, daß sein stets etwas amüsierter Blick nicht nur aus blauen, sondern auch aus müden Augen kommt. Manchmal schlägt sein Humor, sein Sprachwitz in Zynismus um; manchmal schläft er schlecht.

Wenn Fred Walkow doch mal von „Katastrophe“ spricht, dann meint er mehr als das ökologische Desaster von Bitterfeld. Dann meint er die Leute, denen schon alles egal ist, VerliererInnen, die sich zu Hause vor der Glotze verkriechen, Männer, die ihre Frauen verprügeln. Dann verzweifelt er daran, „daß wir als Behörde die Leute dazu bringen müssen, die Schadstoffwerte zur Kenntnis zu nehmen“. Dann wundert er sich über seiner Erbsensuppe für 2,50 DM in der Kantine der Filmfabrik, daß es im stinkenden Bitterfeld, im staubgrauen Wolfen „noch immer so ruhig ist“.