■ ALTES AUS WURZEN
: Jugendhaus für Linke und Rechte

Durch einen recht mutigen Schritt des führenden — linken — Kopfes der jungen Leute hier in Wurzen sind Auseinandersetzungen zwischen den verschiedenen rivalisierenden Gruppen tatsächlich zum Erliegen gekommen. Er begab sich nämlich, gestärkt und ermutigt durch eine halbe Flasche Schnaps, vor nun schon einiger Zeit direkt in das Domizil der Rechten. Das Ergebnis war, daß es zu einer Zusammenarbeit der verschiedenen Gruppen kam! Sie besetzten später ein Haus am Rande von Wurzen. Das wurde dann auch ihr Treff, und sie gestalteten es sich auch schon ein wenig nach ihren Vorstellungen um. Ein harter Kern von fünf, sechs Rechten konnte zwar nicht erreicht werden. Jedoch unternehmen diese keine gewalttätigen Aktionen, da sie einfach zu wenige sind. Nur wenn aus Leipzig oder den anderen Städten weitere Jungs anrücken, kommt es zu Auseinandersetzungen.

Wurzen hat etwa 20.000 Einwohner. Die Jugendlichen kennen sich natürlich alle von den drei Oberschulen her, egal, ob Rechte, Anarchos, Linke... Sie wissen auch, wer gewalttätig ist, und wo sie zu finden sind. Als Freizeittreffpunkte gab es mal zwei Jugendklubs. Beide sind geschlossen worden. (Wobei einer demnächst wieder geöffnet werden soll.)

Der Eigentümer des besetzten Hauses, die Wasserwirtschaft, meldete seinen Anspruch darauf an, und so verhandelte die Stadt in Form eines Runden Tisches mit den Besetzern. Diese begingen den Fehler, auf verbales Palaver zu hören, und nach etwa vier Wochen standen sie wieder auf der Straße ohne schriftliche Zusage für ein alternatives Angebot. Ein Zufall kam nun doch zu Hilfe. Es begab sich, daß das Fernsehen gerade in der Stadt Aufnahmen machte. Sie wurden angesprochen, und das Team erklärte sich bereit, zwei Tage länger zu bleiben. Vor laufender Kamera wurde so von der Stadt eine Zusage zur Beschaffung von Räumlichkeiten für die Kids erlangt.

Genau wie zwei Jugendklubs hatte Wurzen auch zwei Freibäder mit Gastronomie und so. Beide sind aus hygienischen Gründen gesperrt. Allerdings hat eines für die Saison 1992 doch noch eine Genehmigung zum Betreiben erhalten. Das andere ist ein wenig außerhalb und mit einem größeren Kneipengebäude bestückt. Dieses Gebäude ist nun in die Hände der Jugendlichen gelangt. Gegründet, wegen des Geldes, wurde ein »Jugendhaus e.V.«. Fünf ABM-Kräfte, ebenso Benutzer dieses Hauses in ihrer Freizeit, nehmen ein paar Umbauten vor. Ein größerer Kneipenraum wird hergerichtet. Kleinere Nebenräume werden umgebaut, um auch gemütliche Nischen zu schaffen. Billard und Spielautomaten, naja, eben wie sie sich's vorstellen und auch umsetzen können.

Das Publikum im Jugendhaus ist fast nur männlich. Am Abend, als ich dort war, sah ich vielleicht drei oder vier junge Damen. Der Rest, also Stücker zwanzig, zeitweise wohl auch dreißig, waren junge Herren so zwischen achtzehn und fünfundzwanzig Jahren. Es treffen sich da aber eben alle Richtungen und sitzen zusammen an einem Tisch zum Kartenspielen oder trinken oder einfach nur zum Plappern. Ein Besucher mit seiner Freundin wurde mir flüsternderweise gar als Rep-Chef vorgestellt.

Der junge Mann, welcher den Tresen bediente, berichtete mir auch folgendes: Es wurde mal der Versuch unternommen, zwei oder drei Mosambikaner mit in den Laden aufzunehmen, wenigstens auf ein Bier oder ähnliches. Das stieß jedoch auf allgemeine Ablehnung, und das Haus blieb fast leer. Ihm selbst wär's egal gewesen — wenn aber dadurch sehr viele mit deutschem Paß wegbleiben würden, dann ist er auch dagegen. Vom Umsatz müßten sie auch Ausgaben bestreiten. Das Zusammenleben mit Menschen anderer Nationen wurde hier in der Ex-DDR nie gehandhabt. Dazu kommt sicher noch, daß die Kids von der älteren Generation überhaupt nicht auf diese Probleme vorbereitet werden, da die selber damit nicht klarkommen. Und von großen Teilen der Politik und den Medien ist eh nichts zu erwarten, eher das Gegenteil.

Von einem Bekannten erfuhr ich, daß das Zusammengehen von jungen Leuten verschiedener Richtungen schon in mehreren Orten beobachtet wurde. Das löst sicher schon ein paar harte Probleme. Es ergeben sich jedoch auch wieder neue. Die Bevölkerung, welche an der Straße wohnt, die zum ehemaligen Freibad führt, fühlt sich von dem jugendlichen Verkehr belästigt. Als noch im vorigen Sommer das Bad geöffnet hatte, kam keiner der Herrschaften auf derartigen Quatsch. Michael Scholz