Die Angst vor Asylanten und sozialem Abstieg

Im Stuttgarter Kleineleute-Stadtteil Hausen wählten über 30 Prozent der Bevölkerung die „Republikaner“/ Der örtliche Rep-Wahlkämpfer ist ortsbekannt/ Die „eigenen“ Ausländer sind für die Hausener kein Problem, die „Asylanten“ schon  ■ Aus Stuttgart CC Malzahn

Wer zum ersten Mal nach Hausen kommt, der glaubt, am Ende der Welt gelandet zu sein. Der kleine Stuttgarter Stadtteil liegt abseits der Bundesstraße 295 im Norden der Landeshauptstadt. Die kleine Straße, die in das Kleineleuteviertel führt, schlängelt sich durch den Ort hindurch und führt wieder auf die Hauptstraße zurück. In das knapp 1.000 Einwohner große Hausen fährt man normalerweise nur hinein, weil man dort wohnt.

Seit Sonntag abend scheint in Hausen nichts mehr normal zu sein. Denn die „Republikaner“ sind dort jetzt die zweitstärkste Partei. Genau 30,7 Prozent der Stimmen konnten die Rechtsradikalen auf sich verbuchen. Nur die SPD lag mit 39,9 Prozent noch darüber, die CDU landete bei lächerlichen 24 Prozent. „Stuttgarts braunster Stadtteil“, titelte die Lokalausgabe der 'Bild‘-Zeitung Anfang der Woche.

Werner Rutschmann (54) hat diese Schlagzeile wie vielen anderen Bewohnern überhaupt nicht gefallen. Seit Montag morgen verbringt der arbeitslose Kellner seine Tage auf der Straße und beobachtet genau, welche Autos durch die schmale Straße seiner Siedlung fahren. Steigen dann ein paar Fremde aus, bewegt der mindestens 250 Pfund schwere Rutschmann seinen Bauch—auf dem er auch beim Gehen mühelos ein Glas Bier abstellen könnte—in ihre Richtung. „Grüß Gott!“ sagt er dann, „ich bin hier der Ortsvorsteher von die Republikaner!“ Werner Rutschmann ist im Viertel bekannt wie ein bunter Hund. 113 Einwohner des Stadtteils, in dem jeder jeden kennt, haben seiner Partei ihre Stimme gegeben, etwa die Hälfte von ihnen sind den „Republikanern“ inzwischen beigetreten. Für seinen „unermüdlichen Einsatz“ im Wahlkampf hat ihm seine Partei eine Urkunde verliehen, die er in seiner Dreieinhalbzimmerwohnung im Flur unter Glas gehängt hat. „So ebbet bekommt nicht jeder!“ sagt er stolz.

Früher, so Rutschmann, habe er die SPD gewählt. Der beste Kanzler aller Zeiten sei Helmut Schmidt gewesen. Aber danach hätte ihn die linksgewendete Partei enttäuscht. Mit der CDU konnte Rutschmann ebenfalls nichts anfangen, „weil die die Rentner betrogen hat!“ Seine neue politische Heimat fand er bei den Reps, „weil die wissen, was sie an mir haben!“

Daß ein Drittel der Wähler in Hausen für die Reps votiert hat, hängt ohne Zweifel mit Rutschmann zusammen. Abends setzt er sich schon mal hin, um einem Bekannten beim Ausfüllen des Sozialhilfeantrages zu helfen. „Da kenn ich mich aus!“ sagt er, „da hol ich raus, was man rausholen kann!“ Im Wahlkampf beließ er es nicht nur bei Nachbarschaftshilfe. Vor drei Wochen fuhr ein Werbebus der Reps vor dem einzigen Lebensmittelgeschäft Hausens vor. In dem Laden, der übrigens von einem Türken betrieben wird, kaufte Rutschmann zwei Kisten Bier und verteilte sie an potentielle Wähler. Das Gerücht, er habe jedem Rep-Wähler zudem noch fünf Mark in die Hand gedrückt, dementiert er heftig. „Das behaupten die Sozis, das is doch totaler Quatsch.“

„Wir sind keine Ausländerfeinde!“ beteuert der 34jährige LKW-Fahrer Herrmann L., der auch für die „Republikaner“ votierte. Er ist selbst kein Mitglied der rechtsradikalen Partei und „will es auch nicht werden!“ Gegen die Türken, Griechen und Jugoslawen, die im Viertel wohnen, hat er „überhaupt nichts!“ Der Ali, der den Lebensmittelladen betreibe, sei zum Beispiel „schwer in Ordnung“. Etwa ein Drittel der Hausener Bevölkerung verfügt nicht über die deutsche Staatsbürgerschaft. „Ich wollte der CDU und der SPD einfach einen Denkzettel verpassen“, sagt er weiter, „die tun doch nix mehr für uns kleine Leut'!“

Herrmann L. verdient im Monat rund 2.000 Mark netto und lebt mit seiner Frau und seinen vier Kindern in einer Vierzimmerwohnung in Hausen. „Mir schaffet und schaffet und es reicht doch nicht!“ beklagt er sich. Nein, gegen Ausländer habe er nichts, nur gegen die „Asylanten, die bei fünf Sozialämtern gleichzeitig abkassiere!“ Persönlich kenne er keinen, gibt Herrmann L. zu. Nein, in Hausen gebe es gar keine „Asylanten“. Aber in Norddeutschland sei so was vorgekommen. Das habe in der Zeitung gestanden. Herrmann L. findet es „bescheuert, daß die Asylanten nicht arbeiten dürfen!“

Die Arbeitslosenquote in Stuttgart beträgt 4,2 Prozent. Detaillierte Angaben für Hausen gibt es nicht. Der Pressesprecher des Arbeitsamtes glaubt aber, daß die Zahl der Unbeschäftigten dort „nicht viel höher liegt als im Durchschnitt“. Tatsächlich ist Hausen kein Stadtteil, in dem vor allem Sozialhilfeempfänger und Alkoholiker leben. Die Stimmen für die „Republikaner“ kommen vor allem von Leuten, die Angst davor haben, arbeitslos zu werden. „Vielleicht ändert sich jetzt ja was!“ meint Herrmann L., der die Reps beim nächsten mal nicht wieder wählen will.

Das Jugendzentrum von Hausen wird auch von vielen ausländischen Jugendlichen besucht. Ausländische Jugendliche? Wer hier einen deutschen, türkischen, griechischen oder jugoslawischen Paß hat, ist durch ihr äußeres Erscheinungsbild nicht mehr auszumachen. Die Teenager babbeln alle schwäbisch, das macht die Herkunftsforschung nicht leichter. „Ich bin gägens Ausländerwahlrecht!“ meint der 17jährige Mazlum, der in Hausen großgeworden ist. In der Türkei dürften Deutsche schließlich auch nicht wählen. „Bist Du ein Republikaner oder was?!“ faucht ihm daraufhin sein großer Bruder Metin an.

Wenn Metin wählen dürfte, dann machte er sein Kreuz bei der SPD. „Die sind nämlich für das Ausländerwahlrecht!“ Daraufhin Mazlum: „Ich find die CDU besser. Ich läb doch gut unter denen!“

Gegen „Asylanten“ haben beide Brüder was. Die würden klauen, abkassieren, sich in Deutschland „mit unseren Steuergeldern einen faulen Lenz machen!“

Das gute Abschneiden der Reps in ihrem Stadtteil beunruhigt die Besucher des Jugendzentrums kaum. „Ich kenn' die doch alle, die die gewählt haben“, sagt Mazlum. Zu ihm seien sie immer freundlich. „Aber ich will gar nicht wissen, was die hinter meinem Rücken reden.“ Gab es Schlägereien? „Quatsch. Wieso denn?“

Als ein kurdischer Jugendlicher den Thekenraum des Zentrums betritt, wird sofort über den Bürgerkrieg diskutiert. „Die Kurden werden immer frecher!“ ruft ein 18jähriger Türke. „Erst haben wir denen ihre Sprache erlaubt, dann das Tragen ihrer Fahne, und jetzt das!“ Der Kurde guckt vorsichtig in die vorwiegend aus Türken bestehende Runde und geht dann schweigend in ein anderes Zimmer. Als er draußen ist, meint ein im Fußballklamotten gekleideter türkischer Junge: „Den kenn ich. Laßt den in Ruhe! Der ist ganz in Ordnung!“

Stuttgarts braunster Stadtteil titetelte die Bild-Zeitung. Die Wirklichkeit in Hausen paßt weder in die rechte oder linke Schublade. Die Wirklichkeit in Hausen ist—Allah, Jehova und Gott sei Dank—viel, viel komplizierter.