SOMNAMBOULEVARD — CIAO, NASA-BÄR Von Micky Remann

Immer um die Frühjahrsmüdigkeitszeit findet hier eine Abschiedsfeier statt, denn es verlassen uns einige unserer geachtetsten Mitträumer: die Bären, die spätestens jetzt aus dem Winterschlaf erwachen. In ihren Höhlen haben sie geratzt, nichts gegessen, nichts getrunken, nichts ausgeschieden, derweil ihr Bärengeist nach Herzenslust über den Somnamboulevard promenierte. Andere Säugeträumer sind die Zeit über wie durch die Drehtür rein- und rausgeschlafwandelt, doch die Bären hielten wacker die Stellung, und das hat mit einem Geheimnis ihres Stoffwechsels zu tun, für das sich neben luziden Träumern auch die NASA interessiert.

Aufmerksame LeserInnen wissen mittlerweile, daß es unser Ziel ist, den Zustand des bewußten Klartraumes so lang wie möglich stabil zu halten, was unter anderem heißt, ihn durch traumfremde Pinkelpausen nicht unterbrechen zu müssen. Was wir an den Bären so massiv beneiden, ist, daß sie am Stück fünf Monate träumen, was sie wollen, ohne ein einziges Mal zu pinkeln — und ohne zu hungern! Statt ihren Urin auszuscheiden, recyceln sie ihn intern.

Winterschlafende Bären wandeln Harnsäure in Proteine und Neurotransmitter um, ein fast verlustfreier biochemischer Kreislauf, den ihnen bislang niemand nachgemacht hat. Unsereinem zum Beispiel bleibt unter vergleichbaren Umständen nur die Wahl zwischen Nierenversagen, Dialyse oder Hungertod, und auch andere Winterschläfer, wie Eichhörnchen oder Murmeltier, können mit der Ökologie des pinkelfreien, sich selbst ernährenden Bärenschlafs so nicht mithalten. Dieser Schlaf ist gar nicht tief, das Bewußtsein tritt keineswegs blackoutmäßig weg, sondern segelt im achtsamen Zen- Mönch-Alphazustand sacht dahin. Kein Wunder, daß Meister Petz neben Walen und Delphinen zu den angesehensten Klarträumern aus Brehms Tierleben gehört. Ein weiteres Merkmal imponiert uns bei den Somnambären: die Kalziumchemie. Während menschliche Knochen bei ausgedehnten Ruhephasen osteoporös degenerieren, schafft es der Bär, seine Knochen im Schlaf noch zu stärken. Wenn also morgen der letzte Bär aus seiner Höhle tappen wird, gähnend, aber quietschvergnügt, hat er stramme Beine, ein glänzendes Fell und das ideale Frühjahrskurgewicht — alles dank seiner Schlaf- & Recyclingkunst.

Womit wir beim Interesse der NASA sind. Die Probleme von Astronauten bei Langzeitaufenthalten im All sind bekanntlich a) Kalziumabbau in den Knochen, b) die Frage, wohin mit Harn und Scheiße? Die Antwort, mein Herr, weiß ganz allein der Bär. Denn wer wie der Bär schläft und recycelt, kann sorglos satt und somnambul durchs Weltall reisen. Aufwachen, Pinkeln und Gliederstrecken ist dann erst auf dem Mars angesagt, grad so, wie es unser Bär morgen früh in Nordkanada vormachen wird.

Von daher rufen wir Abschiedsgäste ihm zu: „Ciao, NASA-Bär! Und berichte, wie es im Wachzustand war, wenn du dich im Herbst wieder bei uns einmotten wirst!“