»Demontage« beklagt

■ Tram-Stillegung droht, wenn der Senat weiter knausert

Berlin. Durch das planerische Nichtstun von Verkehrssenator Haase und durch die vielen gegen die Straßenbahn gerichteten Einzelentscheidungen droht eine »Demontage« des potentiell wichtigsten Verkehrsmittels der Stadt. Dermaßen pessimistisch äußerten sich gestern Sprecher der Berliner Interessengemeinschaft Eisenbahn und Nahverkehr (IGEB). Der Fahrgastverband verlangt vom Senat, zweieinhalb Jahre nach dem Fall der Mauer endlich für ein verbessertes Tramangebot sowie einen modernen Fahrzeugpark zu sorgen und mit den dringend erforderlichen Netzerweiterungen unverzüglich zu beginnen.

Nach Einschätzung des IGEB- Tramexperten Matthias Horth wäre die BVG gezwungen, spätestens 1994 weitere Straßenbahnstrecken im Ostteil stillzulegen, wenn der Verkehrsbetrieb nicht mehr Geld zur Modernisierung der Trassen erhält und umgehend neue Niederflur-Wagen zum Ersatz der rumpelnden und quietschenden Uraltzüge bestellen kann. Laut Horth können bei veranschlagten Kosten von rund drei Millionen Mark je Kilometer in diesem Jahr lediglich etwa 7 Kilometer des insgesamt 176 Kilometer langen Schienennetzes modernisiert werden. Erneuerungsarbeiten in größerem Umfang müßten unterbleiben, weil Haase dafür im laufenden Jahr nur rund 20 Millionen Mark bewilligte. Wegen des miserablen Zustandes seien aber an vielen Stellen die Gleisanlagen sanierungsbedürftig, so Horth.

Wie der Verbandssprecher in diesem Zusammenhang kritisierte, gibt man jetzt jedoch die knappen Mittel nicht einmal entsprechend dem Sanierungsbedarf der Tramgleise aus. Obwohl der Zustand der Gleise keine sofortige Sanierung bedinge, würden allein aufgrund von Straßenbauarbeiten Gelder hierzu eingesetzt — beispielsweise in der Schönhauser Allee.

Bezüglich der Tramwagen prognostizierte Horth für 1994, dem ursprünglich geplanten Datum für die ersten Streckenverlängerungen, eine »ganz gewaltige Fahrzeuglücke« infolge der verschleppten Neubestellung. Grund: Bis ungefähr 1995/96 sollen die alten Reko- und Großraumwagen der Tram ausgemustert und verschrottet werden, da eine nochmalige Hauptuntersuchung unrentabel wäre. Laut dem IGEB-Experten stehen in absehbarer Zeit nicht mehr ausreichend viele Straßenbahnzüge zur Verfügung, da die Lieferfristen für Neufahrzeuge mindestens zwei Jahre betrügen. Daß Straßenbahnfahren in Berlin wegen der verfehlten Senatspolitik keinen Spaß mehr mache, konstatierte der Fahrgastverband gestern ein ums andere Mal. So seien die Straßenbahnen überfüllt, da die BVG, um zu sparen, nur noch Kurzzüge oder Solowagen einsetze. thok