Zwischen Architekt und Ingenieur

■ Eine Ausstellung in der Aedes-Galerie zeigt Konzepte für »intelligente Gebäude«

Berlin boomt. Die Architekten sprechen von einer Gründerzeit. Die Developper, Investoren und Immobilienhaie geben sich — neben diversen Kliniken zu heiligen Schreinen — auch gezinkte Karten und Scheine gewaschenen Geldes in die Hand. Gebaut wird, wo gerade Platz ist. Es wird so gebaut, wie die Architekten es vorschlagen: Hauptsache, die Büroflächen sind da, die zuvor von anderen gemachten Optimierungsprogramme erfüllt, und die Rendite stimmt. Doch das ist die böse Sicht auf die Dinge: der Grundrentenblick des alten Marxisten, dem immer ein schmerzender Splitter ins Visier zu geraten droht, wenn es gilt, einen neuen Feind auszumachen. Dieser Blick ist immer voreingenommen, selbstgefällig und langweilig — und er übersieht Neues.

Realblick für die Zeit

Daß Büroflächen gebraucht werden, steht außer Zweifel. Und daß es in Berlin derzeit für Architekten viel zu tun gibt, das kann nur der mit Häme kommentieren, dem es an Souveränität und Realblick für die Zeit fehlt, dem Neid zudem der ständige Begleiter durch des Tages Mühen ist. Wenn dieser Berufsstand aber herausgefordert wird, wenn es gilt, die gewaltige Aufgabe, die in den nächsten Jahren zu bewältigen ist, mit neuen Inhalten zu füllen — dann ist Innovation gefragt. Zumal mit den neuen Bauaufgaben Forderungen verbunden sind, die unser aller Leben betreffen und nicht nur diejenigen Menschen, die in diesen Gebilden später wohnen oder arbeiten müssen.

Zu berücksichtigen sind die auf der Tagesordnung aller Menschen stehenden Fragen nach der Bewältigung und Verhinderung von Umweltschäden, des Energieverbrauchs, des Umgangs mit begrenzten Rohstoffressourcen und die Einbeziehung der natürlichen ökologischen, insbesondere der klimatischen Verhältnisse. Schlagworte und Stilbezeichnungen sind in der Architektur daher nicht gefragt. Es geht eher um technische Neuerungen, Innovationsbereitschaft und funktionsfähige Steuerungsmechanismen als neue Organisationsmerkmale zwischen den beteiligten Planungsinstanzen Architekt und Ingenieur.

An dieser Stelle — in diesem noch nicht ganz ausdefinierten Zwischenbereich zukünftiger Planung — setzt eine Arbeit an, die gemeinsam von Architekturstudenten der Technischen Universität Berlin (TUB) und der Hochschule der Künste Berlin (HdK) unter der unermüdlich scheinenden Regie von Philipp Oswalt organisiert und zu einem vorläufigen Ende getrieben wurde. Die Ergebnisse der Entwurfswerkstatt 1992 »Wohltemperierte Architektur — Konzepte für energiesparende Bürogebäude« sind jetzt in der Aedes-Galerie und dem Architekturforum im S-Bahnbogen 600 am Savignyplatz in Charlottenburg zu sehen. Die Entwurfswerkstatt stand unter der Schirmherrschaft des Senators für Stadtentwicklung und Umweltschutz und einer Unterabteilung (GDXII) der Kommission der Europäischen Gemeinschaft. Sie wurde aus Brüssel — mit dem mickrigsten Betrag, den man sich denken kann — »unterstützt«.

Gebäude wie eine Haut

In einer ersten Phase (Ende Februar bis Anfang April 1992) wurden unter Anleitung von fünfzehn mehr oder weniger international renommierten Architekten und Ingenieuren eine Reihe von Fragestellungen erarbeitet, die man anschließend versuchte, in Entwurfsarbeiten zu bewältigen. Achtzig Studenten gingen daran, »energiesparende Bürogebäude für sieben exemplarische Standorte in Berlin zu entwickeln«. Ausgangspunkt war immer, daß bei gegenwärtigem Stand der Technologie Bürohäuser ein Vielfaches der Energie verbrauchen, wie es bei besserer Ausnutzung aller Möglichkeiten notwendig wäre. Und: Gebäude als Hülle zu begreifen, so wie der Mensch mit der Haut als erste Hülle umgeben ist. Diese Haut reagiert auf Tages- und Jahreszeiten, auf Temperaturschwankungen, auf hell und dunkel, warm und kalt, feucht und trocken. Also: warum nicht Konzepte für Fassaden und Gebäudetypen entwickeln, die ähnlich reagieren. Warum nicht »Intelligente Gebäude« konzipieren, bauen?

Das Problem der Lösbarkeit stellt sich für den Techno-Fanatiker nicht; er wird sagen: das ist zu machen. In der Entwurfswerkstatt ging es aber gerade darum, den technischen (und damit den Energie-)Aufwand zur Produktion und zum Betrieb solcher Gebäude und Fassaden möglichst gering zu halten; ein Versuch mithin, mit den natürlichen Gegebenheiten des Klimas zu operieren. Es nutzt im Zweifelsfalle ja nichts, eine Megamaschine zu entwickeln, die vollgestopft ist mit Steuerungsmechanismen, Klappen und Sensoren — und die am Ende für die Produktion und den Betrieb dieser Apparatur soviel Energie verbraucht, wie sie am Ende auf der Außenhaut oder anderswo einzusparen in der Lage ist. Hinzu kommt natürlich der Anspruch der Architekten, weiterhin ästhetisch anspruchsvolle und auch originelle Architektur zu liefern, und nicht das, was abschätzig mit Ökolaube bezeichnet wird. Denn unter dem Schlagwort der Öko- oder Solararchitektur werden uns zum Teil Häuser vor die Tür oder an den Straßenrand gesetzt, daß es einen grausen macht: Ein Wintergarten und ein Feuchtbiotop machen eben noch nicht den ewigen Sommer und das Paradies.

In einer zweiten Phase wurden die erarbeiteten Ergebnisse des Workshops ausformuliert und ausstellungsfähig aufbereitet. Die sieben Teams, deren Arbeiten in der Aedes- Galerie jetzt zu sehen sind, haben dabei ganz unterschiedliche Ansätze: vom »intelligenten« Gebäude über konzeptionelle Grundrißarbeit und eine »Büro-Bar« (wo ziemlich optimistisch gearbeitet, getrunken und gefetet wird — na, wenn das mal gut geht) bis hin zu einer »Green-Corner« in der Innenstadt und einem Stadtverkehrskonzept (»Lenné meets Joule, Car meets train«) für Potsdam ist alles vertreten. Naturgemäß ist viel im Ansatz steckengeblieben, und natürlich sind einige Zeichnungen, da die Inhalte eben noch nicht ganz fertig ausformuliert werden konnten, manchmal etwas kryptisch, schwer zu entziffern und zu verstehen.

Dem ganzen Unternehmen sollte aber, im Hinblick auf die anstehenden Probleme und im Hinblick darauf, daß hier eine neue Architektengeneration sich selbst Aufgaben und Probleme stellt, die uns alle angehen, zumindest mit Wohlwollen und Anerkennung begegnet werden. Und daß die Ergebnisse in diesem Falle nicht im Foyer einer Hochschule verschwinden, sondern über die Galerie im S-Bahnbogen einer neugierigen und interessierten Öffentlichkeit zugänglich sind, verdanken wir dieser einzigartigen Einrichtung einer »Architektur-Galerie«, die seit elf Jahren im Ein-Frau-Betrieb einen sehr guten Einblick in die zeitgenössische Bau- und Architekturdiskussion gibt. Martin Kieren

Ausstellung: Wohltemperierte Architektur, Aedes-Galerie, S-Bahnbogen 600, Savignyplatz/Charlottenburg, täglich von 10 bis 18.30 Uhr, bis 27. Mai

Vorträge: Heute. Joseph Huber: Die verlorene Unschuld der Ökologie (Aedes-Galerie, 18 Uhr);

Mittwoch, 27. Mai, Investorengespräch mit Vertretern von Mercedes, Sony, Industrie- und Handelskammer (Aedes-Galerie, 18 Uhr);

Donnerstag, 11. Juni, Helene Jourda: Wohltemperierte Architektur (TU, Straße des 17. Juni 152, Raum A151, 18 Uhr);

Dienstag, 30. Juni, Jörg Schlaich: Erneuerbare Energie nutzen (TU, s.o., 19.30 Uhr).