SOMNAMBOULEVARD — LEGO LIGHT Von Micky Remann

Ist Dir — im Traum — eigentlich schon mal aufgefallen, daß es im Traum nie völlig dunkel wird? Wundert es Dich nicht auch gelegentlich, daß in Deinem inneren Kosmos selbst dann von irgendwo ein Licht herkommt, wenn Dich die Nachtwelt draußen vorm Kopf in zappenfinstere Düsternis hüllt? Ist es Dir schon passiert, daß Du nächtens erwachst, die Augen weit aufsperrst und objektiv nichts, aber auch gar nichts siehst, und das, obwohl Du Dich erinnern kannst, eben noch in einem strahlend leuchtenden Schneewittchenpalast gewesen zu sein, wo erotische Pfänderspiele mit mindestens sieben ZwergInnen veranstaltet wurden? Wo kommt bei diesen unphysikalisch realen Geschehnissen die Innenbeleuchtung her? Wo steckt die Batterie?

Das sind Fragen, die unser lebhaftes Interesse erregen, wobei wir hier mittlerweile zu dem Schluß gekommen sind, daß die auratisch schimmernde Luminosität des Somnamboulevards zugleich auch sein materielles Fundament ist. Einfach ausgedrückt: Wo die Bauwirtschaft des Wachzustandes mit Zement und Backstein, Mörtel und Beton meint hantieren zu müssen, da schöpfst Du als Traumhandwerker nur eine Handvoll Licht aus dem Hirn, bündelst es, Punkt, Punkt, Komma, Strich, zu einem Rundumhologramm, und fertig ist das Mondgesicht, welches Dir daraufhin in aller Pracht den Subjek(T)raum erhellt, ohne Deine Stromrechnung zu belasten.

Der somnambule Volksmund hat den Traumklötzchen bereits einen Namen gegeben: Lego Light. So wahr ich hier schlafe, das ist der Stoff, aus dem die Träume sind, erotische Masse und Energie in einem Strahl, Plaste und Elaste der Vorstellungsarchitektur, Sprühfarbe für die Graffitis in Somnambabelsberg. Woher das Zeug kommt? Einige Metaphysiker meinen, der Ursprung sei ein goldener Topf voll Biophotonen weit hinten im Gehirn. So wie man früher darauf brannte, die Nilquelle im struppigsten Afrika zu finden, so sind unsere Forscher heutzutage heiß darauf, im Traum selbst zur verborgenen Quelle des Traumlichts zu schlafwandeln. Jede Nacht brechen sie auf, mit nichts als ihrem Bewußtsein im Gepäck, und versuchen auf dem reißendem Strom ihrer Biophotonen bergauf zu schwimmen wie die Lachse zu ihrem Laichplatz. Manche verlieren dabei den Halt und werden zurückgespült, dorthin, wo das Licht nur noch trüb und träge wie der Nil in Kairo durchs träumende Gehirn fließt. Andere behaupten, das Ziel erreicht zu haben. Häufig sind das jene, die Du hier auf Seifenkisten rumstehen siehst, und die, wenn sie Dir nicht gerade ihre „Träumer, Erwachet!“-Broschüren andrehen wollen, Dich in vollster Verzückung mit dem Ausruf „I've seen the light! I've seen the light!“ umlallen. Wieder andere Expeditionsteilnehmer sind ganz und gar verstummt aus der Terra incognita ihrer schlafenden Leuchtstoff-Neuronen zurückgekommen, lungern nur noch in somnambulen Straßencafés rum und träumen vom Pfänderspiel mit Schneewittchen und den mindestens sieben ZwergInnen.