Über den Wolken grenzenloses Wachstum

Deutsche Airbus, Boeing und McDonnell-Douglas glauben trotz Ozonlochs an weiteren Flugzeugboom  ■ Aus Hamburg Florian Marten

Wenn an diesem Wochenende die Internationale Luft- und Raumfahrtausstellung ILA '92 in Berlin ihre Pforten öffnet, ist das Umwelt-Spektakel in Rio gerade zu Ende. Als ob es Ozonloch und Klimakatastrophe nicht gäbe, prophezeien die großen westlichen Flugzeughersteller einen unaufhörlichen gewaltigen Boom des Luftverkehrs in den nächsten 20 Jahren. Das Weltmarktspitzentrio Boeing, Airbus Industries und McDonnell-Douglas rechnet mit einer Verdreifachung der Fluggastzahlen in den nächsten 20 Jahren, mit stabilen Wachstumsraten von deutlich über fünf Prozent im Jahresdurchschnitt.

Willi Hermsen, Chef des neuen Münchner Flughafenmonsters im Erdinger Moos, rechnet genüßlich vor, daß 92 Prozent der bundesdeutschen Bevölkerung noch nie ein Flugzeug betreten haben, die USA verzeichnen eine Flugmuffelquote von 85 Prozent. Winkt grenzenloses Wachstum? Hartmut Mehdorn, Chef der Deutschen Airbus GmbH (DA), Zivilflugzeugriese im Daimler-Konzern, gibt sich seiner Sache sicher: „Die Wachstumsraten sind sehr solide. Da gibt es eine Formel mit fünf Prozent Wachstum — die stimmt.“

Die Realität sieht gegenwärtig freilich anders aus. Weltweit gingen die Fluggastzahlen 1991 um 2,3 Prozent zurück. Die in der IATA zusammengeschlossenen Gesellschaften machten 4,1 Milliarden Dollar Verlust. In Europa schrumpfte das Passagiervolumen um sechs Prozent, die Verluste der Euro-Airlines summierten sich auf 2,1 Milliarden DM. Am härtesten traf es die Lufthansa: Branchenkenner rechnen ihr ausgewiesenes Jahresminus von 444 Millionen DM auf eine knappe Milliarde Mark im reinen Fluggeschäft hoch. Selbst Mehdorn räumt ein: „Die Kauflust der Luftfahrtgesellschaften ist gegenwärtig sehr gedämpft.“

Für die Planer bei der DA und Boeing spielt das keine Rolle. Sie glauben fest an ihren langfristigen Wachstumstrend. Eine neue Verkehrsvernunft, Ökosteuern oder ein Ende der Flugzeugsubventionen werden dabei überhaupt nicht berücksichtigt. Schließlich haben sich in der Vergangenheit Großtechnik und Verkehrswachstum fast immer durchgesetzt. Vor allem aber muß das Wachstum einfach her, weil sonst die Existenz der Konzerne selbst auf dem Spiel steht.

Kaum ein anderer Weltkonzern demonstriert diese Zusammenhänge derzeit so anschaulich wie Daimler Benz. Daimler diversifizierte in Rüstung und Raumfahrt, um die Abhängigkeit vom Automobilbau zu lockern. Nun kriselt es an allen Ecken und Enden: In der klassischen Autodomäne hat man mit der S-Klasse einen geradezu wahnwitzigen Dinosaurier auf den Markt geworfen. Das neuaufgebaute Luftreich, zusammengefaßt in der Münchner Daimler-Tochter Deutsche Aerospace (Dasa) fällt gegenwärtig in ein tiefschwarzes Perspektivloch: Alle zentralen Dasa-Sparten — Rüstung, Raumfahrt und Zivilluftfahrt — leben von Steuermitteln. Und überall gibt es Ärger: Forschungsminister Heinz Riesenhuber will bis 1998 bloß acht statt 16 Milliarden Mark für Raumfahrt ausspucken. Und Rüstungsminister Volker Rühe setzte den Jäger 90 einfach auf die Abschußliste.

Das wiederum bringt auch die DA in Bedrängnis. Gerade hat Daimler sein Luftreich so geordnet, daß die Airbusproduktion, mit klarem norddeutschem Schwergewicht, halbwegs ökonomischen Gesetzen unterliegt. Die Investitionen in eine Airbus-Endmontagelinie in Hamburg und eine vernünftige Fabrikarbeitsteilung innerhalb der Dasa brachten Rationalisierungserfolge und Ertragsverbesserungen. Nach dem Jäger-Absturz fürchtet Mehdorn die Zerschlagung der endlich erreichten Struktur der Airbus-Fertigung. Schon kündigte Dasa-Chef Jürgen Schrempp an, daß die 20.000 Jäger- abhängigen Arbeitsplätze nicht nur in den Rüstungsschmieden Bayerns abgebaut werden, sondern die zivile Luftfahrtsparte neu aufgeteilt werde. DA-Betriebsratschef Hans-Günter Eidtner will das nicht glauben: „Bei Daimler Benz wird doch mit den spitzesten Bleistiften der Republik gerechnet. Ich kann mir nicht vorstellen, daß jemand die Wirtschaftlichkeit hintenanstellt.“

Und dann gibt es da noch den Weltmarkt: Die GUS, mit 3,2 Millionen Beschäftigten in der Luft- und Weltraumfahrt (USA 1,2 Millionen, Europa 0,6 Millionen), wird trotz einer Schrumpfkur auf Dauer als Weltmarktanbieter nicht wegzudiskutieren sein. Die EG-Kommission bestätigte der russischen Flugzeugindustrie jüngst wachsende Wettbewerbsfähigkeit. Und, so schwant Mehdorn: „Die Japaner sind prädestiniert, in unserer Branche einen guten Job zu machen.“ Ein Rüstungsdeal mit den USA, der Lizenzbau des US-Jägers F 16, dient laut Mehdorn als „Turngerät für den zivilen Flugzeugbau“. Die Japaner hätten Entwicklung und Bau eines 100-Sitzers im Visier, den sie um „30 Prozent billiger herstellen wollen als der derzeitige westliche Weltmarktpreis“.

Mehdorn hofft deshalb wieder mal auf die Staatskasse. Um Marktführer Boeing echt herausfordern zu können, müsse ein Airbus-Jumbo her. Für den von Airbus anvisierten 600- bis 800-Sitzer sind laut Mehdorn 6 bis 12 Milliarden Dollar Entwicklungskosten fällig, „4,5 Milliarden davon in Deutschland“. Mehdorn: „Da brauchen wir wieder die Regierung.“ Dabei hat die DA noch nicht einmal richtig mit der Rückzahlung der bisherigen Milliarden- Bürgschaften begonnen. Zwar will Mehdorn, wie er immer wieder betont, „alles dafür tun, daß aus dem Bürgschaftsfall nie ein Subventionsfall wird“. Doch dies klappt nur, wenn der Dollar „auf mindestens 1,725 DM steht“ (aktuell: knapp 1,60), Airbus prima verdient und verkauft. Mehdorn hofft dann, bis zum Jahr 2005 die Staatsgelder zurückzahlen zu können. Allein 1991 subventionierten die Steuerzahler den Dollarkurs für den Airbus mit 380 Millionen Mark. Luftverkehrswachstum, Staatsgelder für Raumfahrt, Rüstung und Industriepolitik — sie sind hier eine schier unauflösliche Zweckehe eingegangen. Mit Marktwirtschaft hat all dies nicht das geringste zu tun.