Der Heilige Geist über Düsseldorf

Ein US-Fernsehprediger und Wunderheiler vor großem Publikum/ Gott selbst gibt Eintrittspreise ein  ■ Von Sabine Stamer

Der Einladungsprospekt hat große Hoffnungen geweckt. Abgebildet war ein umgekippter Rollstuhl, ein weggeworfener Krückstock, ein überflüssig gewordenes künstliches Hüftgelenk — Folgen der heilenden Kraft des Wunderpredigers Morris Cerullo.

In anderen Teilen der Welt bejubeln ihn Zigtausende; in der Düsseldorfer Philipshalle erwarten ihn gut 1.000 Menschen. Ab 25 aufwärts ist jede Altersklasse vertreten. Einige sind extra aus dem tiefsten Süddeutschland und der Schweiz in die mondäne Rhein-Metropole gereist. Auffallend ist auch die große Zahl Farbiger unter den Anwesenden.

Vor dem großen Auftritt erledigt des Meisters Bibellehrer den geschäftlichen Teil: Natürlich komme der Prediger nicht wegen des Honorars, doch müßten die Unkosten gedeckt werden. „Ich bin mir sicher, daß Gott einigen sagen wird, sie sollten 1.000, anderen, sie sollten 500 Mark geben.“ Eindringlich betet die ganze Gemeinde zu Gott, er möge jedem die richtige Summe eingeben.

Das Profane ist erledigt, das Spirituelle hält Einzug. Morris Cerullo erscheint mit ausgebreiteten Armen, die Bibel in der rechten Hand. „Ich erwarte eine große Welle von Gottes Heilungskraft, alles mögliche kann heute Abend geschehen!“ Die Menschen wiegen sich im Takt seiner Worte, die von sanfter Orgelmusik untermalt werden.

Und das ist er: Ein kleiner, dicklicher Italo-Amerikaner im proper sitzenden dunklen Anzug, das Haar sorgfältig über den Ansatz zur Halbglatze gescheitelt. Expressive Mimik, theatralische Gestik. Er kann, was ein charismatischer Prediger können muß. Er weiß, wann die Augenbrauen hochzuziehen sind, die Glubschaugen gerollt werden müssen, wann er die Hände emphatisch gen Himmel zu strecken hat oder mit dem Zeigefinger fuchteln soll.

„Etwas wird geschehen, und tatsächlich, etwas geschieht schon in diesem Gebäude!“ Die Stimmung steigt, der Geist rückt näher. Nur ab und zu schaut Cerullo ins Drehbuch, hebt und senkt gekonnt die leicht heisere Stimme: „Ich werde nicht allzu lange predigen können, denn der Heilige Geist ist hier.“

Wer ist Morris Cerullo? Nach eigener Legende Kind einer jüdischen Mutter und eines italienischen Vaters, Vollwaise im Alter von zwei Jahren, aufgewachsen in einem jüdisch-orthodoxen Kinderheim in New Jersey. Mit 14 erkannte er den Messias „durch eine spezielle Offenbarung“. Von da an war sein Weg im Dienste des Weltevangeliums klar.

Doch ist die offiziöse evangelische Kirche bemüht, nicht mit dem Wunderheiler in einen Topf geworfen zu werden. Der Massengottesdienst in Düsseldorf wurde zusammen mit einer Freikirche, dem Jesus Haus, organisiert.

In den USA unterhält Cerullo einen eigenen TV-Kanal. In Europa hat er jeden Morgen eine halbe Stunde im Super Channel gemietet. Im Herbst will er allerdings auch hier mit einem eigenen Kanal starten. Woher der arme Waisenjunge das viele Geld hat? Durch 40 Jahre harter Arbeit natürlich, durch Sponsoren und TV-Werbung.

In die Düsseldorfer Philipshalle, wo der Gottesdienst seinem Höhepunkt entgegenstrebt, ruft der Prediger in den Saal: „Es sind Menschen hier, die jetzt geheilt werden!“ Eine Menschentraube bildet sich vor der Bühne. Mittendrin liegt eine ältere Frau auf dem Boden, ein Cerullo- Jünger beugt sich über sie: „Dadadadadadada...“ Cerullo selbst beschwört nach und nach die Arthritis in den Beinen, im Ellbogen, im Knie, die Rücken-, die Schulterschmerzen, die Menge betet, betet... Und siehe da, es hilft! Die Geheilten sammeln sich am Bühnenaufgang.

Interviews sind nicht erlaubt. Die Prüfung der Wunder („nach speziellem Prüfmechanismus“!) darf nicht gestört werden. Dann erzählt eine 17jährige Inderin, wie der Schmerz aus ihrem Magen gewichen ist. Sie weint, den Schlauch zur künstlichen Ernährung in der Nase. Zum Beweis ihrer Heilung muß sie sich beugen und bewegen, als habe sie Arthritis gehabt wie die alten Damen, die nach ihr über die Bühne tanzen. Das Publikum klatscht begeistert. „Wer hat das für euch getan?“ — „Gott!“

Einige Geheilte wirken bestellt. Bei anderen scheinen Einbildungs- und andere psychische Kräfte zur Heilung beigetragen zu haben. Eine Mittvierzigerin aus Mönchengladbach kann den Arm etwas besser bewegen als vorher. Sie hat eine „unendliche innere Weite“ gespürt und glaubt an ein Wunder. Eine Grauhaarige im weißen Faltenrock hat gespürt, daß der Heilige Geist ihre Knie berührt hat. Und wie fühlte sich das an? „Ja, eine Wärme, eine Wärme!“

Niemand ist mir böse, daß ich an Cerullos Wundern zweifle. Sie wollen alle für mich beten.