Der Hammer geht "retourn to sender"

■ betr.: "Die Polizei und einige linke Verlogenheiten", taz vom 29.5.92

Betr.: »Die Polizei und einige linke Verlogenheiten«, taz vom 29.5.92

Es tut mir ja sehr leid, Herr Klaus Eschen, aber ich habe Sie einfach nicht verstanden. Als Frau bin ich ständig mit diesem von Ihnen angesprochenen »Problem« konfrontiert. In vielen Bereichen fordere die Linke immer mehr Schutz in Form von Verboten, schreiben Sie: Schutz vor Vergewaltigung, Schutz vor Umweltverschmutzung, Schutz vor organisierter Kriminalität. Falls »die Linken« tatsächlich Schutz vor der real allgegenwärtigen sexuellen Männergewalt in dieser Welt fordern würden — wie könnten sie das je formulieren? Bedeutet Wut und Ablehnung gegen schwanz- und faustgewaltige, frauenentwürdigende oder kinderseelentötende sexistische Schweine einen Ruf nach polizeilichem Schutz davor? Wie viele Polizisten bräuchten wir dann, wäre beides dasselbe? Welcher »Linke« hätte je nach dem real existierenden Staatsarm, so wie er heute besteht, gerufen und gefordert, er solle sämtliche industrielle Dreck- und Giftschleudern dichtmachen, die in unseren schönen, deutschen Landen stehen, wenn er sieht, wie sich Herr Wirtschaft und Herr Staat beim festlichen Gelage vor lauter Bruderküssen nicht mehr einkriegen und Politiker für unser aller real alltägliche Situation — bis zum Hals in der Scheiße, das heißt in Atommüll, Giftmüll, Verpackungsmüll, Pestiziden und sonstigen Giften, giftigem Industriedampf und Abgasen — auch dazu noch vor laufender Kamera ihr »herrliches«, selbstsattes Grinsen behalten? Was soll man von solchen wollen — noch dazu als einer, der in Deutschland mit der Titulierung »Linker« zu einer Art Geächteter wird?

Gleiches gilt für die sogenannte »Zweite Grundverlogenheit«, daß die Polizei immer dann gut ist, wenn sie Demonstrationen Rechtsradikaler verbiete. Welche Lüge lügen »die Linken« mit der Ansicht, polizeiliche Milde und verständnisvolles Entgegenkommen faschistischer Gewalt gegenüber als falsch, aber polizeiliche Maßnahmen dagegen als richtig zu bezeichnen? [...]

Dürfte man das Spiel »Ich sehe was, was du nicht sehen willst«, das Sie mit Ihrem Artikel mit den »Linken« spielen wollen, auch mit einem Verfassungsrichter, wie Sie es sind, spielen? Oder gibt es auch dafür einen passenden Paragraphen, der das kleine Spielchen in umgekehrter Richtung für »kriminell« erklärt?

Die Linke definiert sich weniger durch positive Perspektiven, Utopien und Planungen als negativ durch Feindbilder, schreiben Sie. Gibt es keinen Unterschied zwischen der Perspektive »von schlagstockbewaffneten Polizisten eingekreist« und der »friedlich und frei sein eigenes Leben nach eigenen Vorstellungen gestalten zu können, ohne dabei bespitzelt, ständig kontrolliert und beleidigend-entmündigend-beaufsichtigt zu werden«? Wer schafft das Negative der Perspektive — diese »Linken« oder?

Bedeutet, keine Kohle zur Verwirklichung von Utopien zu haben, daß man keine Utopien hat? Und wohin Planungen, wenn man keinen Raum dafür bekommt, sie ausrollen zu können oder nicht gelassen wird oder auch dabei wieder am fehlenden Geld scheitern muß? [...]

Sie stellen fest, die Polizei sei von Linken immer noch »unterschichtbewertet«. Wenn ich das Wort hinüberübersetzen kann, dann heißt es: Klassendiskriminierung. Soll man die »L«, um einem weiteren Auswachsen von Mißverständnissen entgegenzutreten, nun auffordern, sie sollen ihre »Gesellschaft ohne Klassen!« gefälligst in Zukunft in Knall-Neon-Orange oder in selbstleuchtendem Goldgelb sprühen und wenigstens dahin, wo es auch ein Verfassungsrichter nicht mehr übersehen kann oder soll man einem Kreuzberger, wenn er on tour »ein auf prolo« bringt, irgendwie erklären, daß er doch noch 'n Zahn zulegen muß und 'n paar Bier mehr kippen, weil sonst seine »Solidarität mit'en Malochern« nicht deutlich genug rüberkommt? [...]

Wenn irgendwo im Ausland Polizeigewalt gegen Demonstranten eingesetzt wird, nennt man diese Polizisten meist »Miliz« und deutsche Politiker »verurteilen solche Einsätze« als verabscheuungswürdiges Unrecht, das sie »bedauern«. Wenn in Deutschland derartiges passiert, »bedauern« sie nicht — weil bei der Anschaffung dieser sogenannten »Wannen« die Namensbeschriftung »vergessen« wurde oder warum?

Ich persönlich habe — und das ist kein Widerspruch — sehr viel Respekt vor'm Typ (oder einer Frau), der (die) sich traut, für die Allgemeinheit 'n Polizistenjob zu übernehmen, weil wir eben noch nicht in menschlich-gerechten Strukturen leben und solang nicht, so lange wird eben gewaltsam »ausgeglichen« und so lange gibt es noch schlimmere Verbrechen, die niemand an sich erleben will, und solange es die gibt, braucht es Polizei, auch wenn klar ist, daß von echtem Schutz keine Rede sein kann, sondern nur von Schutzmöglichkeit, Verhinderungsbemühungen und Vergeltung.

Allerdings hört mein Respekt genau da auf, wo sie nicht mehr in klarem Format das Sicherheitsorgan der Bevölkerung gegen Verbrechen sind, sondern sich nur noch zur Sicherung regierender Politiker als Gewaltinstrument politisch mißbrauchen lassen und sich damit selbst zum Idioten machen. Deshalb die Reaktion der Jung-Bevölkerung: »Du blöder Bulle!«, nicht gerade schmeichelhaft, aber möglicherweise treffend ausgedrückt — nach Schlagstock-Erfahrung.

[...] Vielleicht bräuchte es keine Befreiung »der Autonomen von den Bullen«, sondern nur eine Befreiung der Polizei von den Politikern — und das künstlich-aufgewichtete Problem von »Sicherheitsgefahr und staatsgewaltmonopolistischer Niederschlagung derselben« hätte sich — blub — in Luft aufgelöst. [...]

»Den überwiegenden Teil polizeilicher Arbeit, Kriminalitätsbekämpfung und Sicherheitsgewährung, kennt sie (»die Linke«) aus eigenem Erleben nur selten.« Zu diesem Satz, für den sich sämtliche Autonome in Deutschland geschlossen bei ihnen bedanken können, weil er als ein wirklich wunderschönes Lob für die Nichtkriminalität und alltägliche Friedensfähigkeit der »Gefährlichen für die innere Sicherheit« in Ihrem Artikel steht — habe ich keine Frage mehr.

Ich halte es für'n absoluten Hammer, wenn jemand ausgerechnt den Leuten, die wengistens versuchen wollen anzufangen, trotz der Berge haufenweiser Lügen rundum, mal ehrlicher mit sich und der Welt zu leben, die dafür auf sehr viel Bequemlichkeit verzichten und dabei in Contra zu einer riesigen Lawine »Normalität in Ketten und falschen Illusionen« kommen, die dagegen trotzdem noch ihren gesunden Lebens- und Freiheitswillen aufrechthalten und als Vorkämpfer für ein einmal wirklich »besseres, anderes Leben« eine ganze Menge Schwierigkeiten in Kauf nehmen — ausgerechnet den Leuten »Verlogenheiten« vorzuwerfen — der Hammer geht doch wohl besser »return to sender«.

Wenn Sie diese polizeiunwilligen, weil freiheitsliebenden, sogenannten »Linken« — mit dem Wort können Sie sowieso nur eine Handvoll meinen, weil der große »Rest« davon nicht und nicht mehr und nie wieder über einen Kamm zu scheren sein wird — als »Lügner« bezeichnen — was sind dann Sie? Jeanne B.