„I woiß au ned mehr...“

■ Denkwürdiges Zusammentreffen dreier schwäbischer Bayern-Fans mit zwei Werderanern vor dem Amtsgericht

Das erste Spiel der letzten Bundesligasaison, bei dem sich Werder und Bayern München nach 90 Minuten mit 1:1 getrennt hatten, ging erst neun Monate später vor dem Bremer Amtsgericht wirklich zu Ende. „Aus nichtigem Anlaß“ habe der Werder-Fan Nils H. „in der Hoyaer Straße dem Bayernfan Steffen K. mit dem beschuhten Fuß in das Gesicht getreten, so daß der Geschädigte einen Nasenbeinbruch davontrug“, lautete die Anklage.

Jetzt sitzt Nils H., ein muskelbepackter 25jähriger Maschinist, auf seinem Angeklagtenstühlchen, und die Welt ist ungerecht. Ja, nach dem Spiel habe er mit seinem Kumpel und zwei anderen aus dem Stadion einen freien Zapfhahn gesucht. Ein Trupp Bayernfans habe sich in eindeutig provokativer Absicht an ihre Fersen geheftet. In der Hoyaer Straße hätte es hinter ihnen Gerenne gegeben und die Bayern seien auf die Bremer Opfer mit Gebrüll zugestürmt. Die hätten sich nun doll erschreckt und die Beine in die Hand genommen. „Und wie ich mich im Rennen umdrehe, sehe ich, wie zwei von denen auf meinem Kumpel hocken und seinen Kopf aufs Pflaster schlagen.“ Da sei er nichts wie hin, habe dem einen Bayern „zweimal einen gedonnert“ und den anderen runtergezerrt. Und wie er und sein Kumpel dann abhauen wollen, kommt die Polizei, der Kumpel rennt nach rechts und entkommt, er nach links und entkommt nicht. Dumm gelaufen, denn wie der Polizist mit ihm zum Schlachtplatz zurückkommt, da wird er auch schon beschuldigt, einem Bayern ins Gesicht getreten zu haben.

Thomas H., der Kumpel mit dem harten Schädel, ist der zweite großbreitschultrige Jungmann. Und er weiß nur dieselbe Geschichte. Fußball-Verfolgung-Haue-Kumpelretter-Polizei-nix wie weg. Jörg K. ist der Polizist, der den Bericht geschrieben hat. So ganz ganau kann er sich nicht mehr erinnern, was er selbst gesehen, was ihm seine Kollegen gesagt, und was die Bayern gemeint haben. Eine von zwei verkeilten Fangruppen sei weggelaufen, ein Polizeikollege habe H. geschnappt und die Bayern hätten ihn als Treter identifiziert. Irgendwie, nur wie genau, da bohren die Fragen des Rechtsanwalts ins Leere.

Drei Bayernfans aus dem schwäbischen Ulm sitzen im Gerichtsflur. Doch bevor sie hereingelassen werden, hat der Anwalt noch eine Idee: „Wenn der Angeklagte neben mir hier oben sitzt, dann werden die ihn garantiert identifizieren.“ Ob man nicht eine ordentliche Gegenüberstelung organisieren könne. Und dann sitzen sie, nein wir, auf der Angeklagtenseite: der Anwalt, der seinen Talar ausnahmsweise ausziehen durfte, der Angeklagte, sein Kumpel, der Polizist und der Schreiber dieser Zeilen. „Wann kriegen Sie sowas je wieder geboten“, freut sich Richter Hogenkamp.

Steffen K. ist ein kugeliger Sachse, den es nach Ulm verschlagen hat, und das Nasenbein ist inzwischen wieder verheilt. So hudelig erzählt er seine Version der Geschichte, daß die Protokollantin nicht mitkommt. Darauf der Richter: „Keine Panik, wir machen das wie beim Fußball, alles nochmal in Zeitlupe.“ Die Werderfans hätten die Bayern verfolgt, er sei dann auf die zugelaufen, sie sollten abhauen, „mer wollten geen Streit“, sei ausgerutscht, und schon habe er den Schuh im Gesicht gehabt. Wessen? Ob er einen aus der Reihe da wiedererkennen könne? „Nuja, der vielleicht“, und zack, den falschen, den Kumpel hats erwischt.

Die nächsten bitte: Armin S. und Thomas M. bringen die des Schwäbischen nicht mächtige Protokollantin an die Grenze der Belastbarkeit. Der meistgenannte Satz dabei: „I woiß au ned mehr.“ So viel Bier drin, „a feuchter Dag, zähn Kischte Bier hammer im Auto g'hett. Un koiner ka sich mehr erinnere. Da isch oiner weggrennt und dann isch der Kumpel dagleh', un koiner hot was g'seh g'hett. Mir waret scho ziemlich breit.“ Da verzweifelt der Staatsanwalt und der Anwalt frohlockt. Die Aussagen gab es alle schon schriftlich, die Bahnfahrten hätten die Ulmer sich sparen können: Freispruch, und keiner hat irgendeine Geschichte geglaubt. Bleibt nur ein denkwürdiger Satz des Staatsanwalts: „Das einzige was feststeht, ist der Nasenbeinbruch.“ Die Kosten trägt die Staatskasse. Jochen Grabler