Gute Geschäfte bei strömendem Regen

■ Teil 9 der taz-Serie: In Fehmarn mußte nach der deutschen Einheit der Werbeprospekt umgeschrieben werden

„Die einzige Insel der Bundesrepublik Deutsch-

land in der Ostsee“: Mit diesem Slogan warb die Insel Fehmarn bis zum 3. Oktober 1990 für ihr 185 Quadratkilometer großes Eiland. Danach war es mit der einzigen und größten Insel der größeren Ostsee im noch größeren Deutschland vorbei. Aus einzig wurde in der Werbung flugs einzigartig, und das soll besonders für das Klima gelten: Nirgendwo in der gesamten Bundesrepublik gibt es eine Klimastation, die weniger Niederschläge und mehr Sonne in ihre Tabellen eintragen kann als Marienleuchte auf Fehmarn. Aber was nutzt die schönste Statistik? — Ein eisiger Wind peitscht über die handtellerflache Insel, es gießt in Strömen. Das Wetter führt in der Inselhauptstadt Burg zu einem mittleren Verkehrschaos: Stop and go heißt es auf der romantisch gepflasterten Hauptstraße, die von alten Fachwerkhäusern gesäumt wird.

Die vom Strand vertriebenen Touristen haben sich wie auf Kommando zu einem Einkaufsbummel aufgemacht, verhakeln sich in ihrer Masse mit den Regenschirmen — wenn sie sich nicht gleich anrempeln, weil sie die Kapuze ihrer Regenjacke bis über beide Augen gezogen haben. Mit mehr Nackenschlägen als gewöhnlich wird die gereizte Stimmung an den Kindern ausgelassen, doch die Geschäfte laufen bestens.„Was sich hier mit der Vereinigung geändert hat?“ wiederholt der Büroleiter des Bürgermeisters nachdenklich die Frage. „Also, oberflächlich gesehen, nicht viel.“ Natürlich müsse man sich längerfristig auf die Konkurrenz in Mecklenburg einstellen, sagt Kurdirektor Michael Riedel, andererseits ist der Besucherstrom aus Richtung Osten momentan noch sehr verhalten: „Die Ostsee kannten sie drüben ja zur Genüge.“ Noch dazu, wo Fehmarn landschaftlich den Übergang von der Küstenform Förde im Norden zur Küstenform Bodden im Osten markiert. Trotzdem fühlten sich die Fehmarner keineswegs wie Ostler, sagt Michael Riedel.

Dr. Pola ist ehrenamtlich zuständig für die Sammlung in der „Ostdeutschen Stube“ im Burger Haus am Stadtpark. Ein gutes Dutzend älterer Menschen sitzt dort an langen Tischreihen versammelt, vor sich ein Heftchen mit Volksliedern aus dem deutschen Osten, eine Frau spielt Melodien dazu auf einem E-Piano, dessen transparenten Kunststoffdeckel sie am Schluß fein säuberlich wieder aufsetzt. An den Wänden hängen alte und neue Fotos und Gemälde — vom Königsberger Schloß, der Marienburg, beeilt sich Dr. Pola zu sagen. Politik bleibe außen vor, aber man habe eben nur eine Heimat. Sie alle fühlten sich wohl auf Fehmarn, dennoch sollen die alten Bräuche nicht vergessen werden. Fast vierzig Prozent der Fehmarner Bevölkerung stammten nach dem Zweiten Weltkrieg aus dem Osten, so Dr. Pola, fast alle Bäcker und Fischer der Insel wurden in Schlesien oder Pommern geboren, und viele Pommern hätten früher sehnsüchtig zu ihrer alten Heimat rübergeschaut. Jetzt können sie wieder hin, doch keiner will zurück.

Vom Regen zerzaust, hält der Losverkäufer in der Hauptstraße durch. 10 Pfennig kriegt er pro Los, sein Fahrrad ist nur geliehen, aber was soll man machen bei 440 Mark Sozialhilfe? — Der Losverkäufer kommt aus Schwerin. Lutz Ehrlich