Wenn Priester zu sehr lieben

Mainzer Seelsorger outet sich vor Millionenpublikum: „Ich lebe mit Frau und Kindern“/ Der Zölibat ist längst Fiktion, doch viele Geistliche leiden unter ihrem gespielten enthaltsamen Doppelleben  ■ VON HEIDE TITTEL UND THOMAS LEIF

Ein junger Mann präsentiert sein Familienglück vor der Kamera. Seit einem halben Jahr lebt er mit seiner Freundin und ihren zwei Töchtern zusammen, die ihn als Ersatzvater nicht mehr missen möchten. Eine banale Geschichte, wäre Wolfgang Eifler, 34 Jahre alt, nicht von Beruf katholischer Priester. Das ungewöhnliche Familienszenario wurde am Montag vorvergangener Woche in der Sendung „Report“ ausgestrahlt.

Neu daran ist nicht, daß sich ein Priester zu seiner Frau bekennt, wissend, daß er anschließend sein Bündel zu schnüren hat. Neu ist, daß es einer vor einem Millionenpublikum wagt: „Ich möchte einen Beitrag dazu leisten, daß diese Kirche ein ehrlicheres, ein menschenfreundlicheres Gesicht bekommt.“

Im Laufe der letzten Tage ist aus dem unbekannten Krankenhausseelsorger vom Mainzer Uniklinikum der Fall Eifler geworden, der täglich über die Agenturen tickert. Das Telefon steht nicht mehr still, und Wolfgang Eifler gibt geduldig und sichtlich gestreßt ein Interview nach dem anderen. In der Lokalredaktion der Mainzer Rheinzeitung stellt er sich den Fragen der Bevölkerung, die er durch seinen spektakulären Auftritt irritiert hat. „Warum sind Sie überhaupt Priester geworden? Sie wußten doch, daß Sie nicht heiraten dürfen!“ lautet der häufigste Vorwurf der Anrufer. Meist ist das Echo jedoch positiv; gerade viele ältere Anrufer honorieren Eiflers Mut zur Wahrheit.

Wolfgang Eifler spricht die völlige Tabuisierung der Sexualität im Priesterseminar an. Er verweist immer wieder auf die Doppelbödigkeit der kirchlichen Morallehre, erzählt den Menschen, daß es im Bistum durchaus verheiratete Pfarrer gebe, nur wisse davon kaum jemand. Diese Amtsbrüder waren evangelische Pfarrer und konnten sich deshalb um den Zölibat herummogeln, da sie erst nach ihrer Heirat zum katholischen Glauben konvertiert waren. „Viele meiner Kollegen wünschen sich, daß sich endlich etwas ändert, aber sie sind resigniert und glauben nicht, daß sich in puncto Zölibat und Hierarchie etwas bewegt. Ich möchte ihnen Mut machen“, sagt Eifler. „Möglicherweise ist mein Optimismus völlig verrückt. Aber vielleicht gehört das dazu, wenn man etwas verändern will.“

Verändert sich eine Stahltür, wenn man mit der Faust dagegen schlägt? Diese Frage kann man sich in diesem Fall zu Recht stellen im Hinblick auf den kalten Zynismus, mit dem die katholische Kirche einen Tag nach der Sendung reagiert. Wolfgang Eifler wird zum Mainzer Generalvikar Martin Luley zitiert, der ihm kurz und bündig mitteilt, er sei ab sofort beurlaubt und werde innerhalb von 24 Stunden suspendiert, falls er sich bis dahin nicht zur Enthaltsamkeit bekenne.

Ein Ultimatum dieser Schärfe ist unüblich; normalerweise wird dem Abtrünnigen eine Bedenkzeit bis zu einem Jahr eingeräumt. Es ist die Quittung für Eiflers öffentlichen Auftritt. Luley ist sich der Machtstellung der Obrigkeitskirche sicher und bedeutet ihm während der kurzen Unterredung am vorvergangenen Dienstag unmißverständlich, daß er auch vom Kirchenvolk keinerlei Unterstützung zu erwarten habe. Am darauffolgenden Tag kommt, wie angekündigt, die Suspension. In der Presseerklärung des Bischöflichen Ordinariats wird vor allem Eiflers Weg über die Medien kritisiert. Es sei „kein faires Vorgehen eines Priesters gegenüber seinem Bischof, dem gegenüber er sich zum Gehorsam verpflichtet hat“. Eifler habe den gesamten Berufsstand diffamiert. Pressesprecher Jürgen Strickstock besteht in seiner Erklärung auf strikte Hierarchie, die unbedingt zu respektieren sei: „Die Frage nach der Änderung des Zölibatgesetzes ist keine, die auf ortskirchlicher Ebene entschieden werden kann.“

In der Forderung, daß Priester zu gehorchen haben, spiegelt sich die totalitäre Ordnung der katholischen Kirche, die jede abweichende Meinung schlichtweg verbietet. Doch dieses Verbot wird — zum Ärger der Kirchenleitung — immer häufiger gebrochen. Eiflers Geschichte ist paradigmatisch für die vieler seiner Amtsbrüder.

Bis zum Tag der Sendung arbeitete Wolfgang Eifler als Priester im Bistum Mainz. Zwischen dem Klinikseelsorger, dem engagierten Prediger und dem Privatmenschen ist kein Bruch erkennbar, im Gegenteil. „Ich habe aus meiner Beziehung und dem Umgang mit den Kindern sehr viel gelernt. Ich habe das Gefühl, daß auch meine Arbeit als Seelsorger davon profitiert, denn ich kann heute vieles besser nachvollziehen als früher.“ Eifler ist es leid, wegen eines anachronistischen Sexualverständnisses, das von einer Minderheit diktiert wird, sein Privatleben zu leugnen, um den Schein nach außen zu wahren. Unter Klerikern ist es längst ein offenes Geheimnis, daß der Zölibat eine Fiktion geworden ist und de facto nur von einigen wenigen gelebt wird. Die meisten versuchen, in einem aberwitzigen Balanceakt eine Beziehung zu leben und gleichzeitig nach außen das Bild des Unantastbaren aufrechtzuerhalten.

Für Wolfgang Eifler ist es ein entwürdigendes Versteckspiel, auf das sich viele Priester aus Angst vor Sanktionen einlassen. Als ausgebildeter Therapeut weiß er, wie groß der psychische Druck sein kann, der durch Schuldgefühle und Beziehungsängste ausgelöst wird. Nur wenige Kleriker schaffen es, eine unbelastete verantwortungsbewußte Beziehung zu leben. Ein Problem, das in besonderer Weise die Frauen trifft, die einen Priester lieben. Anne Dördelmann-Lueg von der „Initiativgruppe der vom Zölibat betroffenen Frauen“ wird häufig damit konfrontiert. „Wir erleben, daß es eine große Zahl von Priestern gibt, die aus einer Bindungsunfähigkeit heraus nicht nur auf eine Frau zugehen, sondern auf mehrere gleichzeitig.“ Manche suchten bewußt die Beziehung zu einer verheirateten Frau, da eine spätere Trennung unproblematischer sei. Aus Angst, daß der Geliebte sofort seinen Beruf verliert, und in der Hoffnung, daß er mit der Zeit den Mut finden werde, sich für die Beziehung zu entscheiden, schweigen die meisten Frauen.

Beatrice Karas war eine dieser Frauen. In „Report“ sprach sie offen über ihre dreijährige Beziehung mit einem Priester. Sie akzeptiert das Argument der Beziehungsunfähigkeit nicht, das sowohl von kirchlichen Psychologen als auch von vielen Priestern bei einer Trennung als Entschuldigung vorgebracht wird. Sie sagt über ihren Freund: „Ich habe drei Jahre lang erlebt, daß er sehr wohl beziehungsfähig ist und sehr gut auch mit Konflikten umgehen kann.“ Karas sieht einen Zusammenhang zwischen der Attraktivität, die Priester gerade für katholische Frauen haben, und dem hohen sozialen Ansehen der Kleriker. Durch die Erziehung werde den Frauen vermittelt, diese heiligen Männer seien eben „die besseren Männer, die ein absolutes Ideal leben, die sich radikal für etwas entschieden und die Charisma haben“. Gerade das Verbot bringe viele Frauen dazu, einen Priester zu lieben. Nach Ansicht von Beatrice Karas spielen die Priester mehr oder weniger mit ihrer Rolle — um Anerkennung zu bekommen: „Ich denke, man reagiert als Mensch auf das, wie man Anerkennung bekommt. Und wenn man Anerkennung dadurch bekommt, daß man ein charismatischer Einzelgänger ist, dann wird man auch so weiterleben, einfach weil die Reaktion gewünscht ist“, vermutet sie.

Oftmals ist die Kirche über das Privatleben ihrer Priester informiert und toleriert es, solange es im verborgenen bleibt. Wegen eklatanter Nachwuchssorgen in einigen Gemeinden will die Kirchenleitung verhindern, daß immer mehr Priester den Bettel hinwerfen. Wolfgang Eifler sieht in dieser Doppelmoral eine kollektive Schizophrenie. Er appelliert an seine Kollegen, diesen Zustand zu beenden.

Suspension lautet — wie diesmal — die übliche Antwort der Kirchenleitung, mit der die Aufmüpfigen rechnen müssen. So rächt man sich gewöhnlich an jenen, die das auszusprechen wagen, was jedermann denkt. Eifler hatte vor der „Report“- Sendung mit seinem Leben als Priester und Seelsorger noch nicht abgeschlossen. Sein Gottesdienst fand wegen seiner engagierten Predigten besonders bei jungen Leuten großen Zuspruch. Der Gedanke an eine dauernde Amtsenthebung stimmt ihn traurig: „Vielleicht bin ich naiv, aber ich habe noch nicht mit der Idee gebrochen, daß die katholische Kirche reformierbar ist. So kann es nicht weitergehen.“ Wolfgang Eifler ist ein Beispiel dafür, daß es in den Provinzen der Weltkirche rumort und der Druck gegen den Pflichtzölibat deutlich ansteigt.

Und vielleicht bringt das Rumoren ja auch etwas. Denn nach Einschätzung führender Kirchenrechtler ist eine sofortige Suspension wie bei Eifler nicht möglich. Die Professoren Peter Eicher aus Paderborn und Klaus Lüdicke aus Münster gehen davon aus, daß nach dem katholischen Kirchenrecht zunächst ein offizielles Suspendierungsverfahren eingeleitet werden müsse. In einem solchen Verfahren würden dann alle Faktoren, die zu der schweren „Beugestrafe der Suspendierung“ führten, juristisch geprüft werden. Zudem habe Priester Eifler keinen Eheschließungsversuch unternommen — eine Bedingung dafür, jemanden zu suspendieren. Ein weiterer Formfehler der Amtsenthebung besteht darin, daß dem Suspendierungsbrief des Generalvikars keine Rechtsmittelbelehrung beigefügt war.

Gegen diese Verfahrensfehler hat Eifler am vergangenen Freitag offiziell Beschwerde beim Bischöflichen Ordinariat in Mainz eingereicht. Notfalls will der Priester, der sich selbst geoutet hat, vor dem Arbeitsgericht gegen sein Berufsverbot klagen.