Avantgarde ist nur eine Etikette

■ Der Stipendiat und Gitarrist Andreas Willers hat aus New York einen Schlagzeuger mitgebracht

Andernorts grinst man ohne vorgehaltene Hand über das, was der Berliner Kultursenat als Kontinuität in der Unterstützung einiger Berliner Musiker betrachtet: Wer einmal aus dem öffentlichen Säckel bedient wurde, darf mit Nachschlag rechnen. Der Rubel rollt, einmal ist da jedenfalls kaum keinmal, eher immer, mindestens mehrmals. Begünstigt wird diese Politik durch Jury-freie Entscheidungen, wie etwa beim diesjährig vergebenen Stipendium für die Cité des Arts in Paris, wo denn eben die Sachbearbeiter entscheiden, vielleicht gestützt durch ein oder zwei Telefonate mit Sachverständigen, die stets anonym bleiben.

So ist es weniger erstaunlich, sondern eher schon Standard, daß der Jazz-Gitarrist Andreas Willers per Senats-Katapult in New York, Paris und Oslo landete. Zu hören war er Samstag abend in den »Hofkonzerten«, der neuen »Jazz am Samstag«- Reihe im Podewil, ehemals Haus der jungen Talente. Vervollständigt wurde Willers Trio von Horst Nonnenmacher am Baß und am Schlagzeug von Jim Black, dem für Jazz- Formationen mittlerweile obligat gewordenen Mitglied New Yorker Herkunft.

Das Wetter spielte ebenfalls mit; kein schöner Sein, denn unter Bäumen sitzend, gemütlich kühle Flüssigkeiten in sich aufnehmend, dem Trio eines »ehemaligen Blues- und Avantgardegitarristen«, wie die zitty schreibt, zu lauschen. Unsere Väter hörten in solcher Umgebung noch Dixieland, aber Zeiten und Musikstile haben sich eben geändert.

Und schön spielen sie allemal, diese drei relaxten Jazzer vorne auf der Bühne. Themen werden kurz angerissen, führen in weite, entspannte Passagen; in durcharrangierten Blocks enden die Stücke wieder, hüpfen sich manchmal aus, wie das halt so üblich ist. Üblich auch der Jazzer-Fahrplan: jedem sein Solo, nur die Reihenfolge darf variiert werden.

Das Schönste gelingt dem Kopf der Gruppe, Andreas Willers auf seiner Gitarre. Ein ewiges lyrisches Intro ist's, das so recht in die sommerlich-laue Athmosphäre paßt. Nichts leidet unter übertriebenem Expressivitäts-Getue. Endlos verhallte Gitarren-Akkorde setzt Willers gegen leicht hingetupfte Linien, die scheinbar absichtslos dahinschlendern. Der skandinavische Gitarrist Terje Rypdal steht mit seinen Aufnahmen aus den frühen Achtzigern Pate — vielleicht eine Folge von Willers Oslo-Besuch.

Aus New York ist dagegen nichts zu hören, die ganze dortige Avantgardeszene, die den neuen Jazz so nachhaltig beeinflußte, muß zu Hause bleiben: Geräusche haben in der klangschönen Musik des Trios nichts verloren. Auffallend klangschön spielen auch der Bassist und der Schlagzeuger, dem einige hübsche Passagen gelingen, in denen er vertrakt rhythmische Patterns ineinander verwebt.

Insgesamt aber bleibt die Musik des Trios zwischen John-Scofield- und Michael-Sagmeister-Trio stehen, leistet sich höchstens bisweilen kleine Terje-Rypdal-Ausflüge. Avantgarde ist nur Werbe-Etikett. Für einen netten Sommerabend ist's allemal das richtige: man mag sich zurücklehnen und, sein kühles Bierchen schlürfend, sich in musikalischen oder sonstigen Erinnerungen ergehen. Walter Kovalski