■ CAFESATZ
: Es kommt darauf an, was das Leben aus einem Gesicht macht

Blond ist er, groß und auch sonst ziemlich deutsch. So jemand fällt auf in Avignon. Warum sitzt er hier auf der Café-Terrasse unter den großen Platanen? Wegen des Festivals. Nicht wegen des bekannten für Theater, sondern wegen des franko-amerikanischen Filmtreffens. Und Deutscher ist er auch nicht, sondern Wiener.

Und Schauspieler: Auf diesem kleinen Festival könne man viel besser Kontakte knüpfen als in Cannes, wo Hunderte von Schauspielern auf die Regisseure einreden. Wo er doch so schüchtern ist. Ist er sich da sicher? Ja, bei seinen letzten Versuchen, in Apotheken Kondome zu kaufen, habe er immer wieder statt dessen Vitamintabletten verlangt. Das sei nicht schüchtern, sondern verklemmt, wende ich ein. Er findet seine Begründung jetzt auch kokett und versucht eine andere: Er sei zu groß. Kleine hätten's einfacher. Wenn er in ein Zimmer käme, sei er nicht zu übersehen. Das läge vielleicht auch an seiner Aura. Also will er sich lieber wie Hans Moser durchwuseln? Das auch wieder nicht: Kleine müßten sich mehr anstrengen, und er habe schon als Kind hoch hinaus und Papst werden wollen. Einer von der alten Sorte, die noch in Sänften rumgetragen wurden.

Eines weiß er sicher: Alle sollen ihn lieben. Okay, that's Showbizz, aber ist er schon mal auf jemanden Bestimmtes eingegangen? Er hat nie mit jemandem zusammengewohnt und wird es nie machen: „Ich brauch' soviel privacy.“ Wenn andere ihm nahe kämen, nehme er sie zu ernst, verlöre die Abgrenzung, und „in der Menge kann ich meine Batterie nicht aufladen“.

Bei einer Rolle sei dagegen Abgrenzung von der Umgebung legitim, geradezu Voraussetzung für gutes Spiel. „Beziehungsgeschichten“ läßt er deshalb nur während Dreharbeiten zu, das Ende bei Drehschluß mit einkalkuliert. Danach bleibt „die briefliche Ebene“ mit „London, Rom, Paris“: „Man trifft ja so wenige interessante Menschen an einem Ort.“ Und es bleibt selbst beim Schriftverkehr „die Angst, nicht richtig verstanden zu werden“.

Wenn seine Mutter nur seinen Anrufbeantworter erreicht, ruft sie den gleich viermal hintereinander an. Denn die Zeit für eine Nachricht ist auf 30 Sekunden begrenzt. Aber er sei sich der Liebe seiner Eltern nie sicher gewesen. Ja, der Satz komme aus einer Therapie, begonnen „nach einer großen Enttäuschung“: Zwei Jahre lang habe ein Regisseur ihm was über eine gute Filmrolle vorgelogen. Ein Bekannter in Paris, wo er wohnt, hat ihm einen guten Mann empfohlen. Der hat eine eigene Graphologie erfunden und weiß gleich beim ersten Besuch des Schauspielers aus dessen Schrift zu lesen: Er könne auch Graphologe werden. Seither belegt er einen Kurs, bezahlt mit Übersetzungen. Dank seiner zahlreichen Briefbeziehungen liefert er häufiger als andere neue Schriften an. Und nur zwei Menschen haben wegen seiner graphologischen Neigungen den Schriftverkehr mit ihm abgebrochen — aber man müsse eh hin und wieder ausmisten.

Erster Erfolg seit Kursbeginn: „Ich habe mich selber a bisserl mehr lieb.“ Man werde ja nicht irgendwie anders, sondern „on devient soi- même“ — wird man selbst. „Und a bisserl a Huscher muß man schon“ behalten. Darum sollten Künstler ja auch keine Analyse machen. Und was bringt ihm das gesammelte graphologische Wissen? Ersatz fürs fehlende Philosophie- und Psychologie-Studium, vermutet er. Künstler sei man ja nicht nur auf einem Gebiet, sondern im Leben: Er bearbeite auch gerne die schöne, braune Erde eines Gartens oder esse gerne Zwetschgenknödel, und er habe ein gutes Gefühl beim Haareschneiden. Begonnen hat er mit der Haarkunst bei sich selbst, dann KollegInnen beschnitten. Die Europäer seien aber engstirnig. Beim Haarschnitt auf dem Set beobachtet, würde er gleich als Friseur einsortiert. Die Amis seien offener: Wenn er hier in Avignon zum Beispiel Paul Mazursky einen Schnitt verpasse, dann sähe der trotzdem den Schauspieler in ihm und würde sich beim nächsten Casting vielleicht sogar noch besser an seine Person erinnern. Zu dem kleinen Filmfestival nach Avignon fährt er seit Jahren. Dieses Mal habe er eigentlich nicht kommen wollen. Aus Angst. Aber seine Astrologin und Wahrsagerin hat ihm zugeraten: Er würde dort gute Leute treffen.

So ist er gefahren, obwohl „es gefährlich ist, Hoffnungen zu haben“. Ein Nachwuchsregisseur hat ihm auch schon eine schöne Kurzfilmrolle angeboten, und er hat wegen des ersten Satzes im Szenario zugesagt: „Il était un homme angoissé de première classe — ein angstvoller Mann erster Klasse.“ Das werde man in diesem Beruf: Angst, überhaupt einen Job zu bekommen. Angst, daß die Rolle dann doch noch rausgeschnitten oder von Fremden synchronisiert werde. Welche Rollen hat er schon gespielt? Den Paul von Thurn und Taxis bei Wagner neben Vanessa Redgrave, einen Gestapochef für Molinari, den Freund Hemingways in „La Balena Blanca“ und — bisher am liebsten — einen englischen Maler des 19.Jahrhunderts in einem französischen Fernsehfilm. Die Dreharbeiten in Venedig seien wunderbar gewesen. Aber es sei ein schlechter Film geworden, wegen der 20 Minuten, in denen er nicht vorkomme.

Das Gefühl, alt zu sein, hat er schon vor zehn Jahren mit 24 gehabt: Er wurde als zu alt für eine Rolle abgelehnt. Wenn er richtig alt ist, wird er in seiner großen Villa an der Côte d'Azur dem Gärtner zur Hand gehen, gelegentlich wird er zu kleinen Rollen jetten. Welche werden das sein? „Das kommt darauf an, was das Leben aus einem Gesicht macht.“

Und was hat das Leben aus meiner Schrift gemacht? Er blättert im Vokabelheft mit den Notizen zu unserem Gespräch: „Hast Du keine Mutter mehr?“ Stimmt — und sonst? Er blättert wieder. Aber es ist ihm unangenehm, mehr zu sagen. Das müsse gründlicher geschehen. Anhand einer Schriftprobe, die ich nach Paris schicken soll. Ich werd' mich hüten — mein „Huscher“ gehört mir.

Cafésatz: In einem Café jemand Fremdes ansprechen und sie oder ihn ganz persönliche Dinge fragen. Die Einstiegsfrage: Warum sitzen Sie hier?

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