INTERVIEW
: „Zuerst muß die Menschenrechtsfrage gelöst werden“

■ Guatemalas Guerillaführer Rolando Moran zu den Friedensverhandlungen mit der Regierung und zur politischen Selbsteinschätzung der URNG

Ricardo Gutierrez, besser bekannt als Comandante Rolando Moran, ist Oberbefehlshaber des Guerillaheeres der Armen (EGP), der stärksten der vier in der URNG zusammengeschlossenen Organisationen. Das Interview wurde wenige Tage vor Beginn des Dialogs mit der Regierung geführt.

taz: Präsident Serrano hat eine Art Marathondialog vorgeschlagen, um bis Jahresende den Krieg in Guatemala zu beenden.

Rolando Moran: Die Verhandlungen müssen konsistent, tiefgehend und ernsthaft sein, um die Probleme anzugehen, die dazu führten, daß wir zu den Waffen griffen. Die sind nicht in ein paar Tagen zu lösen: wirtschaftliche und soziale Probleme, Menschenrechtsfragen, Verfassungsreformen, die Anerkennung der Identität der eingeborenen Völker. Wir akzeptieren keine Fristen, denn jeder Punkt muß ausführlich behandelt werden, bevor es dazu ein politisches Abkommen geben kann.

Die Regierung sagt, die Menschenrechtslage wird sich verbessern, sobald es einen Waffenstillstnd gibt.

Das hieße, das Pferd vom Schwanz aufzuzäumen. Die Menschenrechte in Guatemala werden nicht wegen des Krieges verletzt — sondern schon sehr viel länger. Gerade die Verletzung der Menschenrechte und das Versperren der Wege zu politischen Lösungen haben den Konflikt ausgelöst. Die Menschenrechtsfrage muß gelöst werden, bevor es zu einem Globalabkommen kommt.

Was die strukturellen Probleme betrifft — die ungerechte Verteilung des Reichtums, die soziale Frage —, so hat kein lateinamerikanisches Land eine Lösung gefunden, nicht einmal unter günstigeren Bedingungen. Ist es vorstellbar, daß diese Dinge in Guatemala unter Kriegsbedingungen am Verhandlungstisch beigelegt werden?

Natürlich nicht. Aber die Menschenrechtsfrage schon. Denn es liegt in der Hand der Regierung und der Armee, die Morde, die Repression, das Verschwindenlassen von Personen einzustellen. Wir halten es für moralisch nicht vertretbar, diese Fragen bis zum Schluß ungelöst zu lassen.

Einige der Aktionen der URNG sind äußerst fragwürdig. So protestieren Umweltschützer gegen die Praktik, Tankwagen zu überfallen und mit Tausenden von Litern Erdöl den Urwaldboden zu verseuchen.

Die Umweltschützer haben teilweise recht, aber sie übertreiben. Ich weiß nicht, warum sie sich nie zu den Abwürfen von 250-Kilo-Bomben in Peten und Quiche äußern, mit denen die Armee die Umwelt viel mehr schädigt.

Die URNG betrachtet sich aber als fortschrittliche Kraft. Da müssen andere Standards gelten.

Jede Infrastruktur, die der Armee dient, ist für uns ein Ziel. Das ist in allen Kriegen so. Wenn es Ziele gibt, ist es leider manchmal unmöglich, Nebenschäden zu vermeiden. Wir wollen die Wirtschaft des Landes nicht als solche treffen, sondern nur, wenn sie der Armee dient. Und das Erdöl dient in Guatemala militärischen Zwecken.

Wenn es zu einem Friedensschluß kommt, welche Form wird die URNG als politische Kraft annehmen?

Wir haben noch nicht entschieden, ob wir uns als normale politische Partei konstituieren werden oder als eine Art Bewegung. Das System der politischen Parteien macht nicht nur in Guatemala eine schwere Krise durch. Das ist einer der Punkte, den wir in der Verfassung reformieren wollen: die Repräsentation der Bevölkerung in der Legislative, sowohl auf nationaler wie auf lokaler Ebene. Als Serrano zum Präsidenten gewählt wurde, blieben 53 Prozent der Wahlberechtigten den Urnen fern. Das beweist, wie wenig Glaubwürdigkeit die Politiker bei der Bevölkerung genießen. Aber die Bewegungen haben mehr Kontakt und können eine direktere Beteiligung der Bevölkerung ermöglichen.

Die organisierten Gruppen sind aber ziemlich klein.

Das liegt an der Angst. Seit 38 Jahren [dem Sturz der reformistischen Regierung Arbenz durch eine US-Intervention, d. Red.] herrscht Einschüchterung, Verfolgung, Mangel an Freiheit. Wenn diese Fesseln einmal wegfallen, dann wird die Beteiligung der Bevölkerung, einschließlich der indianischen, bedeutend größer sein.

Die Armee macht aber nicht den Eindruck, als wollte sie ihre Kontrolle lockern.

Am Beginn des Dialoges waren wir sehr optimistisch, weil wir zur Militärdelegation fast ein Vertrauensverhältnis gewinnen konnten. In den letzten acht Monaten haben sich jedoch die Widersprüche innerhalb der Armee verschärft, und ihre Verhandlungsposition wurde wieder härter. Die hohen Offiziere, mit denen wir es zu tun hatten, waren offensichtlich nicht repräsentativ für die Mehrheit. Und die will ihre Allmacht nicht aufgeben.

Interview: Ralf Leonhard