Keine Eile am Verhandlungstisch Guatemalas

Seit Montag sitzen Guatemalas Regierung und Guerilla zu Friedensgesprächen zusammen/ Ganz oben auf der Tagesordnung: Die Menschenrechte/ Armee fürchtet salvadorianische Lösung/ Guerilla besteht nicht auf sofortiger Legalisierung  ■ Von Ralf Leonhard

Managua (taz) — Eigentlich hätten sich die Guerillachefs kein schöneres Szenario wünschen können. Bevor die Kommandanten der Guerillafront „Nationale Revolutionäre Einheit Guatemalas“ (URNG) am Montag in einem Hotel in Mexiko den Dialog mit der guatemaltekischen Regierung wieder aufnahmen, sorgte eine Serie von Protesten für eine Dauerkrise im Regierungspalast. Zuerst streikten die Staatsangestellten für Gehälter über der Subsistenzgrenze, dann führte ein brutaler Polizeieinsatz gegen eine Gruppe von Bauern, die die Lösung eines Landkonflikts forderten, zum Rücktritt des Innenministers. Zuletzt griff die Protestwelle auch auf die Universitäten über.

Und ein vernichtender Bericht der Washingtoner Menschenrechtsorganisation „Americas Watch“ erhielt durch die letzte Woche veröffentlichte Bilanz des Menschenrechtsbüros der Erzdiözese zusätzliches Gewicht: Diese wirft der Regierung und den Streitkräften vor, mit Terrormethoden die politische Dissidenz zum Schweigen zu bringen und zählt über 470 Verbrechen auf, die teilweise in den Bereich der politischen Gewalt eingeordnet werden können. Erzbischof Prospero Penados erhielt mehrere Todesdrohungen, nachdem das Dokument publik wurde.

Ein Ausweg aus der Spirale der Gewalt über den Verhandlungstisch ist momentan nicht abzusehen, denn die Position der Armee hat sich verhärtet, seit im benachbarten El Salvador ein Präzedenzfall geschaffen wurde. Dort müssen sich die Streitkräfte auf ihre halbe Stärke zurückstutzen lassen und sich der Säuberung durch eine Kommission von Zivilisten unterziehen. Der stolzen guatemaltekischen Armee, die sich als Siegerin in einem Krieg gegen Stellvertreter des Weltkommunismus fühlt, erscheint eine solche Demütigung nicht zumutbar.

Die Regierung fordert von der Guerilla das Niederlegen der Waffen als Gegenleistung für eine Amnestie und die Legalisierung der bisher verbotenen in der URNG zusammengeschlossenen Organisationen, während die URNG erst die Menschenrechtsfrage gelöst sehen will, bevor sie das Thema der Entmobilisierung auch nur andiskutiert.

Staatspräsident Jorge Serrano Elias hatte am 30. Juni, anläßlich der Feierlichkeiten zum Tag der Armee, ein neues Verhandlungsangebot an die Guerilla gerichtet. Eigentlich wollte er den im Vorjahr abgebrochenen Dialog schon Mitte Juli wieder in Gang bringen, um beim Iberoamerikanischen Gipfel in Madrid mit ersten Erfolgen aufwarten zu können. Doch diese Freude wollten ihm die URNG-Kommandanten nicht gönnen. Auch seinen Vorschlag, in einer Art Marathonverhandlung bis Jahresende einen Friedensvertrag auszuhandeln, finden sie unseriös. „Die Verhandlungen müssen konsistent sein und die Probleme angehen, die vor dreißig Jahren den Krieg auslösten“, meint Rolando Moran, einer der vier URNG-Oberbefehlshaber.

Das Thema Menschenrechte steht ganz oben auf der Tagesordnung, die jetzt in Mexiko diskutiert wird. Der URNG geht es um die Auflösung der sogenannten Zivilen Selbstverteidigungskomitees (PAC) in den indianischen Dörfern, um die Einhaltung der Genfer Menschenrechtskonvention durch die Armee und um Garantien für die Rückkehr von über 40.000 Flüchtlingen aus Mexiko.

„Wenn sie wollen, daß die Armee die Bombardierungen im Hochland einstellt, dann sollen sie vom Terrorismus ablassen“, klagte Manuel Conde, Sprecher des Staatspräsidenten und Leiter seiner Verhandlungsdelegation, kürzlich in einem Pressegespräch. Die Menschenrechtsverletzungen sind eine Konsequenz des Krieges, heißt die offizielle Darstellung; deswegen solle die Guerilla so bald wie möglich die Waffen abgeben, damit anschließend über alle anderen Probleme diskutiert werden könne. Auslöser des Krieges, so Conde, sei das Fehlen politischer Freiräume für die Linke gewesen. Der Umwandlung der URNG in eine politische Kraft, auch der Legalisierung der Kommunistischen Partei stehe aber nichts mehr im Wege.

Doch die Guerilla, die seit über dreißig Jahren aktiv ist, hat keine Eile mit der Legalisierung. Denn im politischen Wettstreit mit den traditionellen Parteien hätte sie nicht viel zu erwarten. Die Verhandlungsführer setzen daher auf internationalen Druck und auf breite Unterstützung ihrer Positionen nicht nur durch die linken Bewegungen. Ihre Forderungen nach mehr Partizipation der Bevölkerung, auf Anerkennung der indianischen Identität, Verteilung brachliegender Ländereien, Stärkung der sozialen Einrichtungen und Einbindung der Armee in ein demokratisches Sicherheitssystem können von jedem demokratisch denkenden Menschen unterschrieben werden.

Beide Seiten stehen unter Druck. Aber die Regierung Serrano hat offenkundig größere Eile, ihr Scheitern in der Sozial- und Wirtschaftspolitik durch Verhandlungserfolge zu kompensieren. Und der Guerilla kann der wachsende soziale Druck, der von den 87 Prozent der Bevölkerung ausgeht, die nach jüngsten Schätzungen unter der Armutsgrenze vegetieren, nur entgegenkommen.