Notruf für vergewaltigte Frauen gefährdet

■ Das stadtbekannte Frauenprojekt berät seit 13 Jahren Frauen, die Opfer sexueller Gewalt geworden sind/ Eine Mieterhöhung erschwert die Weiterexistenz/ Das Frauenzentrum in der Stresemannstraße mußte schon dichtmachen

Berlin. »Heinz-Harri hat Angst, seit er versucht hat, auf dem Görlitzer Park eine Frau anzugreifen, meidet er alle dunklen Orte«, ist auf rot-weißen Plakaten an den Hauswänden rund um den Kreuzberger Görlitzer Park zu lesen. Das Foto von »Heinz- Harri« ist auf dem Plakat in Form eines Steckbriefs abgedruckt. Aus dem Text geht hervor, daß der Mann von mehreren Frauen nach einer versuchten Anmache so verprügelt wurde, daß er »mit Beulen, Platzwunden, einem Shock und ohne Personalausweis abziehen« mußte. »Frauen achtet aufeinander! Frauen schlagt zu«, fordern die unbekannten Verfasserinnen.

»Ich finde es gut, wenn sich Frauen auf so eine öffentlichkeitswirksame Art wehren«, begrüßt die zu der Plakataktion befragte 23jährige Mitarbeiterin des Notrufs für vergewaltigte Frauen, Ariane, die Plakataktion. Aber das, so Ariane, sei ihre ganz persönliche Meinung, denn der Notruf äußere sich zu solchen Aktionen nicht. Daß die Verfasserinnen des Plakats dem Notruf nicht bekannt seien, findet Ariane nicht bemerkenswert. »Manchen autonomen Frauengruppen sind wir zu wenig feministisch und anderen wieder zuviel.« Die 23jährige Sozialpädagogik-Studentin arbeitet seit zwei Jahren beim Notruf. Die Organisation mit der stadtbekannten Telefonnummer 2512828 war 1979 von rund 40 Frauen als Reaktion auf die Vergewaltigung einer Frau gegründet worden, die an den Folgen der Tat starb. Ursprünglich war das neben dem Frauenzentrum in der Stresemannstraße gelegene Notruf-Telefon rund um die Uhr besetzt. Später wurden die Sprechzeiten auf dienstags und donnerstags in der Zeit zwischen 18 und 21 Uhr und sonntags zwischen 12 bis 14 Uhr begrenzt. In der übrigen Zeit müssen sich in Not geratene Frauen mit einem Anrufbeantworter begnügen. Natürlich sei der Anrufbeantworter keine glückliche Lösung, zumal die Erfahrung aus anderen Städten zeige, daß die meisten Hilferufe nachts kämen, bedauert Ariane. Aber die rund 20 Mitarbeiterinnen des Notrufs könnten einen 24-Stunden-Dienst zeitlich nicht leisten. »Jede von uns arbeitet auch so schon 10 bis 12 Stunden wöchentlich ehrenamtlich hier.« Auf Wunsch beraten die Mitarbeiterinnen Frauen, die Opfer sexueller Gewalt geworden sind, begleiten sie zum Arzt und zum Prozeß. »Wir raten den Frauen weder zur Anzeige, noch raten wir ihnen ab«, weist Ariane die Kritik der für Sexualdelikte zuständigen Kriminalhauptkommissarin Heidrun Gessner zurück, die Notruf- Frauen würden Vergewaltigungsopfern von einer Spätanzeige abraten (siehe taz vom 14.8. 92). Die Notruf- Frauen sind auch diejenigen, die auf der taz Kleinanzeigenseite vor gewissen »Typen« warnen, die in bestimmten Straßen oder Parks der Stadt Frauen belästigt haben sollen. Die Auffassung der Kriminalhauptkommissarin, solche Anzeigen trügen eher zur Panikmache und Verunsicherung bei, teilt Ariane nicht. »Wir wissen, daß viele Frauen froh über diese Warnungen sind.«

Das Beratungsangebot der Notruf-Mitarbeiterinnen wird hauptsächlich von Frauen der Alternativ- Szene in Anspruch genommen. Die Nachfrage, so Ariane, sei so groß, daß die Betroffenen bisweilen drei bis vier Wochen auf einen Beratungstermin warten müßten. Abhilfe könne nur durch ein Frauen-Krisenberatungszentrum geschaffen werden, für das es aber immer noch keine Finanzierungszusage des Senats gebe, bedauert Ariane. Die Notruf- Frauen hätten ganz bewußt keinen Antrag auf staatliche Unterstützung gestellt, weil sie sich als »autonomes, feministisches Projekt« begriffen. Die Telefonrechnung und Miete konnte der gemeinnützige Verein bislang durch Spenden und Bußgelder finanzieren. Nachdem das benachbarte Frauenzentrum vor einigen Monaten wegen einer Mieterhöhung seine Pforten schließen mußte, ist jetzt auch die Weiterexistenz des Notrufs gefährdet. Es sei denn, es findet sich eine Frauengruppe zur Finanzierung des Plenumsraums. plu