Südkorea: Aus Feinden werden Freunde

Aufnahme von diplomatischen Beziehungen mit China/ Rückschlag für Taiwan und Nordkorea  ■ Aus Seoul Peter Lessmann

Wenn Chinas Außenminister Qian Qichen und sein südkoreanischer Amtskollege Lee Sang Ock heute in Peking ihre Unterschrift unter den historischen Normalisierungsvertrag setzen, werden die beiden Länder eine vierzigjährige Feindschaft beenden und ihr Kriegsbeil endgültig begraben. Die Aufnahme von diplomatischen Beziehungen kam zwar nicht ganz überraschend, aber doch früher, als manche Experten erwarteten.

Südkoreas Staatschef Roh Tae Woo, dessen Amstzeit im Frühjahr 1993 zu Ende geht, darf jedenfalls frohlocken. Er krönt seine „Nordpolitik“, die vor drei Jahren mit den ehemaligen Ostblockstaaten ihren Anfang nahm, mit einer diplomatischen „Meisterleistung“ — noch rechtzeitig vor dem Beginn des Präsidentschaftswahlkampfes.

Feinde werden zu Freunden und Freunde zu Feinden: Wie eine heiße Kartoffel ließ Südkorea seinen langjährigen Verbündeten Taiwan fallen, die Verwicklungen waren zu groß. Die alten Kämpfer Chiang Kai- shek aus Taiwan und Syngman Rhee aus Südkorea werden sich jedenfalls im Grab umdrehen. Seite an Seite hatten die nationalistisch gesinnten Kriegstreiber in den fünfziger Jahren gemeinsame Front gegen den Kommunismus in Fernost gemacht. Beide erhoben einen Alleinvertretungsanspruch: der eine für ganz China, der andere für das geteilte Korea. Doch das ist lange her.

„Südkoreas Regierung hat immer wieder gesagt, sie wolle keinen alten Freund aufgeben, um einen neuen zu gewinnen“, sagte der sichtlich erregte taiwanesische Botschafter in Seoul am Wochenende auf einer hastig einberufenen Pressekonferenz. Die Normalisierung der sino-koreanischen Beziehungen sei eine falsche Entscheidung und nichts anderes als der Bruch eines früheren Versprechens, jammerte der Diplomat aus Taipeh und kündigte den Abbruch der Beziehungen zu Seoul an.

Tatsächlich mußte Südkorea, das bislang das antikommunistische Taiwan als einzig legitime Regierung von ganz China anerkannte, Pekings „Ein-China-Politik“ akzeptieren. Der Bruch mit Taipeh, ohnehin in Fernost ein politisches Leichtgewicht, war nicht mehr zu kitten. Denn das Reich der Mitte, mit dem Südkorea seit einigen Jahren einen regen Wirtschaftsverkehr unterhält und das heute bereits der drittwichtigste Handelspartner Seouls ist, lockt politisch und ökonomisch.

Gegen den südkoreanisch-chinesischen Flirt wehrte sich neben Taiwan nur noch das kommunistische Nordkorea Einspruch. Das Regime in Pjöngjang, dessen letzter enger Verbündeter gerade China ist, steht mit dem Rücken zur Wand und droht sich weiter zu isolieren. Im innerkoreanischen Dialog, der seit Unterzeichnung des Aussöhnungsvertrages zwischen den beiden Koreas wegen der strittigen Atomfrage nur schleppend vorankommt, erhofft sich Seoul jetzt Rückendeckung durch China.

Eine größere Öffnung zur Außenwelt sei jetzt für Nordkorea unvermeidlich, kommentierte die konservative Korea Times am Sonntag und forderte pragmatische Schritte durch Pjöngjang. Welche Rolle dabei China spielen wird, dürfte sich schon beim nächsten Treffen der koreanischen Premierminister Mitte September zeigen. Und Nordkorea könnte aus der Not eine Tugend machen: Denn mit der Aufnahme diplomatischer Beziehungen zwischen Seoul und Peking steht auch der Normalisierung der japanisch-nordkoreanischen Kontakte nichts mehr im Wege.

Das kommunistische China scheint jedenfalls die Herzen der Südkoreaner gewonnen zu haben und das in einem Land, wo Kommunisten immer noch hinter Schloß und Riegel kommen. Am Wochenende entschuldigte sich Peking in Seoul für das Leiden der Koreaner während des Koreakriegs (1950-53). Damals hatten chinesische Truppen an der Seite Nordkoreas gegen den Süden und seine Verbündeten gekämpft. Die neue Allianz, meinen Beobachter in Seoul, habe nicht nur für weitere Entspannung in Fernost gesorgt und alte Feindbilder zerstört. Sie kündige auch das Entstehen einer Gegenmacht gegen die wirtschaftliche und militärische Dominanz Japans an.