Somalia: „Jetzt fühlen sich alle so schuldig“

Eine Welle internationaler Hilfsbereitschaft ist über das hungernde Somalia hereingebrochen — doch die Somalis selber bleiben außen vor/ Bundeswehrflüge ohne Absprache/ Wann kommen die 3.500 UNO-Blauhelme nach Mogadischu?  ■ Aus Baidoa Bettina Gaus

Vor einem verschlossenen Eisentor an der Hauptstraße der somalischen Kleinstadt Baidoa drängen sich Hunderte von Menschen. Sie warten darauf, das große Gelände dahinter betreten zu dürfen, wo Helfer des Internationalen Roten Kreuzes Reis und Bohnen verteilen. Mitten in der schubsenden, stoßenden Menge sitzt ein etwa vierjähriges Mädchen, das eine Blechschüssel in den dürren Fingern hält. Es starrt blicklos ins Leere, seine Umgebung scheint es nicht mehr wahrzunehmen. Wird es dem Kind überhaupt gelingen, bis zur Essenausgabe vorzudringen?

Hunger ist ein stummes Leid. Auf der anderen Straßenseite sitzen schweigend einige bis aufs Skelett abgemagerte Männer und Frauen vor einer Hütte, in der vier Leichen liegen. Sie sind heute vormittag gestorben. Gestern mußten die Flüchtlinge aus einem Dorf der Region, die es bis ins vermeintlich rettende Baidoa geschafft hatten, elf der ihrigen begraben.

Viele Hungernde sind schon zu schwach, um Nahrung überhaupt noch aufnehmen zu können. In den langen Schlangen, die auf die Schöpfkelle voll Essen warten, spricht kaum jemand. Auch die Kinder lachen nicht — und sie weinen nicht.

Denjenigen, die hier stehen, ist nach eineinhalb Jahren des Bürgerkrieges nichts mehr geblieben. In Lumpen gehüllt, lassen sie sich das Essen auf Pappkartons und in Papiertüten füllen. „Ich war einmal einer der reichsten Männer in meinem Dorf“, erzählt Ibrahim Abdi Rahman. „Ich hatte 22 Kühe und acht Ochsen und habe Fleisch nach Mogadischu exportiert. Alle Tiere sind geraubt worden oder tot. Selbst meine Kleidung wurde mir gestohlen.“ Der Mann ist in einen zerschlissenen Vorhang gehüllt, den ihm Mitleidige geschenkt haben. Sein Dorf Ufuru liegt rund 70 Kilometer von hier entfernt. „Meine Frau und meine elf Kinder waren zu schwach, um mit mir nach Baidoa zu kommen. Ich habe ihr Schicksal in Gottes Hand gelegt. Ich weiß nicht, ob sie noch leben oder schon gestorben sind.“

Monatelang ist Somalia von der Weltöffentlichkeit vergessen worden. Nur das Internationale Rote Kreuz und einige andere Organisationen arbeiteten hier. Ihre dringlichen Hilfsappelle verhallten ungehört. Die UNO hatte sich nach dem Ausbruch blutiger Kämpfe in der Hauptstadt Mogadischu im November sechs Monate lang fast völlig aus dem Land zurückgezogen. „Noch immer fühlen wir uns sehr alleingelassen“, meint Dominik Stillhart vom Internationalen Roten Kreuz. „Wir verstehen nicht, warum die UNO nicht mehr Nahrungsmittel hereinbringt. Wenn sie nicht endlich die Verantwortung mit übernimmt, wird das Desaster weitergehen.“

Wie das? Seit Fernsehbilder von hungernden Somalis um die Welt gingen, ist doch eine Welle ausländischer Hilfsbereitschaft über das Land hereingebrochen. Innerhalb weniger Tage versprachen die Regierungen Deutschlands, der USA, Frankreichs und Großbritanniens werbewirksam zusätzliche Nahrungsmittelhilfe. Die Deutschen haben den Wettlauf der Humanität gewonnen: Am Dienstag landeten die ersten beiden Maschinen der Bundesluftwaffe mit insgesamt 18 Tonnen nährstoffreicher Biskuits an Bord auf dem Flughafen von Mogadischu. Die Ankunft der Deutschen hatte sich tagelang verzögert, weil sie zunächst, wie es hieß, mit den vor Ort zuständigen Organisationen abgesprochen werden mußte. Aber mit der Koordination war es nicht weit her: Die Flugzeuge waren im kenianischen Mombasa bereits gestartet, da wußte im Büro des federführenden Kinderhilfswerkes UNICEF noch niemand von der unmittelbar bevorstehenden Ankunft.

Ohnehin ist Mogadischu ein fragwürdiges Ziel für Hilfsflüge. Über den Hafen der Stadt können weit mehr Lebensmittel erheblich billiger hereingebracht werden. Außerdem ist die Hauptstadt vergleichsweise gut versorgt. „Wir werden auch vier kleinere Städte in Somalia anfliegen“, erklärte Hauptmann Friedl Fromme, Pilot der ersten Bundesluftwaffenmaschine, nach der Ankunft in Mogadischu. Baidoa soll eines der Ziele sein. Aber das Problem ist nicht einfach mit dem Transport großer Mengen von Lebensmitteln zu lösen. Ein ausländischer Helfer fürchtet: „Wenn das alles zu hastig geplant wird, geht das ganze Zeug direkt auf Lastwagen von Banditen zurück nach Kenia zum Verkauf.“ Das Internationale Rote Kreuz fliegt derzeit täglich rund 90 Tonnen in die Stadt. Sein Mitarbeiter Christoph Sereau warnt: „In Baidoa ist es gefährlich, zu große Vorräte zu haben. Wir dürfen nicht allzu viele Güter hier lagern.“ Um keinen allzu großen Reiz für Plünderer zu bieten, reichen hier die Reserven nur für jeweils zwei Tage.

Soll die Hilfe wirklich nützen, dann müssen neben dem Nahrungsmitteltransport auch Gelder für Personal, Sicherheitsmaßnahmen, medizinische Betreuung und Wasserversorgung zur Verfügung stehen. Anita Ennis von der Organisation Concern Ireland fürchtet: „Meine größte Sorge ist, daß alle sich jetzt so schuldig fühlen wegen Somalia, daß sie versuchen, alles so schnell wie möglich hierher zu bringen, einfach um das Gefühl zu haben, doch Nahrung geliefert zu haben.“

Die Somalis selber werden nicht einbezogen. Yussuf Sharif ist der Gouverneur in Baidoa. „Wir haben von der geplanten Hilfe ausländischer Regierungen durch Journalisten erfahren“, sagt er. „Aber wir sind niemals offiziell informiert worden. Wir wissen nicht, was wann wo wie ankommen soll.“ Ähnlich äußert sich Hava Ali Mursal, die Vorsitzende der örtlichen Frauenvereinigung: „Die internationalen Organisationen treffen nur ihre eigenen Entscheidungen. Aber die Ausländer können unsere Konflikte nicht so verstehen wie wir selbst, wenn sie sich nicht mit uns beraten.“

Vor allem in Mogadischu wartet jetzt alles auf die von den Vereinten Nationen zugesagten 3.500 Blauhelmsoldaten zum Schutz der Lebensmitteltransporte. Aber wann kommen sie wirklich? Warum sind sie nicht eigentlich längst schon da? „Das hängt ausschließlich mit notwendigen Vorbereitungen zusammen, die noch nicht abgeschlossen sind“, erklärt Liviu Bota, Berater des UNO-Sonderbeauftragten Michel Sahnoun. Mitarbeiter nichtstaatlicher Organisationen haben da ganz andere Vermutungen. Einer meint: „Die UNO weiß bisher gar nicht genau, wie sie die Soldaten eigentlich einsetzen soll.“ Denn, wie Dominik Stillhart fürchtet: „Wenn die UNO- Soldaten die Jobs derjenigen Somalis übernehmen wollen, die im Augenblick den Hafen sichern, kommt es zum Kampf.“