Das Ende eines legendären Leselandes

■ Ostberliner Buchhandlungen leiden zunehmend unter hohen Mieten und schwacher Nachfrage/ Die Köln-Bonner Gesellschaft Bouvier gibt neun Filialen auf/ Die Überlebensstrategie kleinerer Buchläden heißt rigoroses Sparen und 20-Stunden-Tag

Nur wenige potentielle Käufer streunen durch die weitläufige »Universitätsbuchhandlung Bouvier« Ecke Spandauer/Karl-Liebknecht-Straße. Dabei hat sich das Sortiment des einstigen Renommier-Buchladens der DDR, in dem es früher außer der Marx-Engels-Gesamtausgabe nicht viel zu kaufen gab, enorm erweitert, und die Kunden müssen auch kein kleines Plastikkörbchen mehr in die Hand nehmen, um hineingelassen zu werden. Trotzdem ist der Umsatz hier wie auch in den übrigen acht Ostberliner Bouvier-Filialen in den letzten zwei Jahren dramatisch zurückgegangen. Zum Jahresende werden deshalb alle neun Buchläden abgewickelt. Die Zukunft des Personals ist noch unklar. »Wir wissen nicht, was im Januar aus uns wird, das ist schon bitter«, klagt eine Angestellte.

»Mit Büchern kann man Mieten von 110 Mark pro Quadratmeter nicht erwirtschaften«, erklärt Monika Grütters, Sprecherin der Buchhandelsgesellschaft Bouvier und Nicolai. »Aber die Geschäfte sollen möglichst als Buchläden erhalten werden.« Bouvier will sie in Zusammenarbeit mit der Treuhand auf Ostberliner Buchhändler übertragen — die sich allerdings die hohen Mieten, die der Senat verlangt, erst recht nicht werden leisten können.

Für den Umsatzrückgang ist auch nachlassendes Käuferinteresse verantwortlich. »Wir haben den Eindruck, daß es das legendäre Leseland DDR so nicht mehr gibt«, meint Monika Grütters. Einerseits interessierten sich die Kunden jetzt stärker für elektronische Medien, andererseits seien die Bücher viel teurer geworden. »Viele Kunden sagen, daß sie gern mehr kaufen würden, aber es sich nicht leisten können.«

Vor der Wende gab es etwa sechzig Buchläden. Bis heute ist diese Zahl annähernd gleich geblieben, obwohl viele Buchläden vor allem in Mitte Schwierigkeiten haben. »Unsere Filiale am U-Bahnhof Stadtmitte kann nur gerade so vermeiden, in die roten Zahlen zu kommen«, sagt Robert Kiepert, Senior der Buchhandlung Kiepert. Daran sei nicht nur die gesunkene Kaufkraft der Bevölkerung schuld, sondern auch die Umgebung: »Ich finde es schon erfreulich, daß wir auf dieser Riesenbaustelle überhaupt bestehen können.« Kiepert bleibt trotzdem optimistisch: Anfang Oktober eröffnet die Gesellschaft eine neue Filiale hinter der Humboldt-Universität.

Besonders genau müssen die kleinen Buchläden in Mitte rechnen. »Mit rigorosem Sparen und einem 20-Stunden-Tag hoffen wir, daß wir hier etwas aufbauen können«, sagt Brigitte Torka, Geschäftsführerin der »Akademischen Buchhandlung am Gendarmenmarkt«. »Aber wir zahlen hier eine astronomische Miete für den Platz mit der totesten Hose in Berlin, an dem man eigentlich nur in Schönheit sterben kann.« Der Bezirk müsse vor allem attraktiver gestaltet werden, um Kunden anzuziehen. In den Außenbezirken sieht die Situation der Buchhändler etwas freundlicher aus. Regelmäßig trifft sich Astrid Blum, Geschäftsführerin der »Insel«-Buchhandlung im Prenzlauer Berg, mit anderen kleinen Buchhändlern aus Ost-Berlin. »Wir hatten immer Stammkunden und konnten die zum Glück auch behalten«, meint sie. Auch bei ihrer Miete sei die Schmerzgrenze im Moment noch nicht erreicht. »Allerdings gibt es auf unser Haus Eigentumsansprüche«, sagt Astrid Blum. »Wenn der Besitzer auftaucht, kann es uns schlecht gehen.« Miriam Hoffmeyer